Leonie Humitsch. Eine Produktion über Abwanderung und Heimweh: imprinting (2015). Kompanie: eva & eva
Leonie Humitsch. Eine Produktion über Abwanderung und Heimweh: imprinting (2015). Kompanie: eva & eva

Zeitgenössischer Tanz in Kärnten

Zunehmend geschätzt – gut vernetzt – unvermindert prekär

Die in Klagenfurt arbeitende Tanzjournalistin und -kuratorin Ingrid Türk-Chlapek berichtet über die Situation des zeitgenössichen Tanzes in Kärnten.

Klagenfurt, 07/02/2016

Dass die Stadt Berlin in den Jahren 2016 und 2017 deutlich mehr Geld an Kulturschaffende ausschütten wird, fand einen beinahe ungläubigen Widerhall in den österreichischen Medien. Die Stadt an der Spree dürfte sich zu einem noch pulsierenderem Schmelztiegel entwickeln und jede Menge Kreative, darunter viele freie Tanzschaffende aus strukturschwachen Regionen anziehen. Möglicherweise auch aus Kärnten, denn hier kämpft die aufstrebende zeitgenössische Tanz- und Performanceszene nach wie vor ums Eingemachte.

Kärnten ist kein ausgewiesenes Tanzland. Kulturelle Identität wird primär aus Chorgesang, Literatur und Malerei gezogen. Mit den Federn des Körpers und der Bewegung schmückt sich vor allem der Sport. Der Bühnentanz fristet ein vergleichsweise bescheidenes Dasein. Seit dem 18. Jahrhundert war dieser weitgehend dem Stadttheater Klagenfurt vorbehalten. Die Auflösung des hauseigenen Ballettensembles im Jahr 1992 aufgrund von Sparmaßnahmen des damaligen Intendanten Dietmar Pflegerl erschütterte die Community nachhaltig. Das Stadttheater vernachlässigt seither das tanzinteressierte Publikum.

An zeitgenössischen Tanzströmungen, die seit der 1980er Jahre in Europa und US-Amerika Furore machten, dockte man in Kärnten mangels formal-inhaltlicher Vertrautheit nur zögerlich an. Zeitgenössischer Tanz gilt hier bis heute als schwer verständlich. Dass sich die Gattung aufgrund ihrer Flüchtigkeit, die einem traditionell geschlossenen Werkbegriff zuwiderläuft, ständig aufs Neue aushandeln muss, und so ästhetische, soziale und gesellschaftspolitische Kompetenzen schärft, wird nach wie vor zu wenig wahrgenommen.

Allen Hindernissen zum Trotz blieb man auch hierzulande nicht untätig. Als unbestrittene Urgesteine der zeitgenössischen Tanzlandschaft gelten die Choreografin Bernadette Prix-Penasso, die zuletzt das 30-jährige Jubiläum ihrer Tanzschule feierte, Zdravko Haderlap mit seinem inzwischen aufgelösten, legendär-provokanten Tanztheater/Plesni teater Ikarus sowie die ehemalige Kulturinitiative Atik. Im übrigen tröpfelten zwei Jahrzehnte lang singulär Aktivitäten, ohne die Sparte mangels angemessener Strukturen nachhaltig vor Ort verankern zu können.

Vor allem das tanzinteressierte Publikum litt am mageren Tanzangebot. Im Gegensatz zur gängigen Meinung, wonach sich Tanz als non-verbales Medium universell-erklärungsfrei erschließt, benötigt nämlich der zeitgenössische Tanz – wie zeitgenössische Kunst insgesamt – Hintergrundinformation und viele Aufführungsbesuche, um offen rezipiert zu werden. Während Tanzmetropolen abstrakte Formate und Konzepttanz forcieren, befremden in Kärnten nach wie vor die Erzähllücken anti-illusionistischer, postdramatischer Tanzstücke. Diese Leerstellen selbstbewusst mit Assoziationen zu füllen und so autonom Deutungshoheit zu übernehmen, will schließlich geübt sein. Als Ende der Nullerjahre endlich mehr Kontinuität in die heimische, freie Szene Eingang hielt, profitieren die Tanzschaffenden jedoch von einem unbedarft-neugierigen Gegenüber, das etwa in Künstlergesprächen einen frischen, konstruktiven Austausch sucht.

Überraschenderweise steigerte sich besagte Kontinuität trotz Wirtschaftskrise zu einem Tanzboom, vielfach von engagierten Einzelpersönlichkeiten bzw. -initiativen getragen. Einige Tanzschaffende erkoren sich Kärnten zur Wahlheimat aus. Die junge exzellent ausgebildete Generation von Abgewanderten zeigt ihre Arbeiten zumindest temporär als Gastspiel. Etliche unter ihnen würden übrigens sofort zurückkehren, gäbe es bessere Möglichkeiten, sich im künstlerischen Feld einen Lebensunterhalt zu verdienen. Fachkräfte aus Journalismus, Organisation und Kuratierung stärken den Tanz wiederum kraft ihrer Expertise. Selbst Kulturämter unterstützen die Sparte punktuell als Veranstalter.

Seit 2007 bietet die Stadt Villach ein- bis zweimal pro Jahr zeitgenössisches Tanztheater für Erwachsene sowie Tanzproduktionen für Kinder und Jugendliche im Congress Center. Seit 2008 arbeitet die Choreografin Andrea K. Schlehwein in Millstatt und realisiert gemeinsam mit Eleonore Schäfer im Schnitt zwei (!) Eigenproduktionen pro Jahr. 2010 startet das Center for Choreography (CCB) im Kulturni dom Bleiburg/Pliberk unter der Schirmherrschaft von Johann Kresnik und etabliert die Lange Nacht des Tanzes in Bleiburg/Pliberk und Gmünd. Sowohl Schlehwein als auch das CCB bieten ein vielfältiges Jahresprogramm aus Gastspielen, Residenzen, Workshops, Ausstellungen, Filmabenden und Diskurs. 2011 gründet Valentin „Knuffelbunt“ Alfery die urbane Tanzkompanie „Hungry Sharks“ in Klagenfurt. 2012 findet das erste internationale HipHop- und Breakdance-Festival in Feldkirchen statt. 2013 vollzieht das alteingesessene Villacher Festival Spectrum eine Kehrtwende zu Performances im öffentlichen Raum. Im selben Jahr geht der monatliche Tanznewsletter „Tanzamt Klagenfurt“ online. Seit 2014 läuft die zeitgenössische Tanzreihe der Stadt Klagenfurt in der Stadtgalerie und der Theater Halle 11. Seit 2015 kämpft die Kulturinitiative TanzRaumK für Räumlichkeiten in Klagenfurt. Ab 2016 richtet die Theater Halle 11 ein eigenes zeitgenössisches Tanzfestival aus. Daneben arbeiten etliche Tanz-Pendlerinnen konstant vor Ort, beispielsweise die Choreografin Martina Seidl mit ihrer Mixed-Ability-Produktion „Zeit für Sternschnuppen“ in Šentjakob v Rožu/St. Jakob im Rosental oder Leonie Humitsch, die zuletzt in Spittal mit dem Tanzstück „imprinting“ über Abwanderung und Heimweh berührte.

Beim vorjährigen Förderungskahlschlag in Stadt und Land sind die meisten Tanzschaffenden mit einem blauen Auge davon gekommen. Ein Dasein am Limit zermürbt auf Dauer, selbst wenn das Gesprächsklima, die Kooperationen und der Publikumszuspruch mehr als passt. Im Rahmen des jährlichen fachlichen Austausches, dem Klagenfurter Tanzkultur-Labor unterstützt von der IG KIKK und der IG Freie Theaterarbeit, ließ die Szene 2015 erstmals mit einem gemeinsamen Statement zur drückenden Lage aufhorchen. Denn auf kulturpolitischer Ebene sind nachhaltige Lösungen gefordert: Erhöhung der Tanzsubventionen, Wiedereinführung von Mehrjahresverträgen für Tanzschaffende, optionale Förderung von Kulturinitiativen oder von Einzelpersonen im Tanzbereich, Installierung eines Tanzbeirates, jährlicher Kulturförderpreis für Tanz und Performance, Finanzierung eines Tanzraumes in Klagenfurt, professionelle Tanzausbildung am Konservatorium, zeitgenössische Tanzproduktionen am Stadttheater Klagenfurt, das Einbinden von Tanz in das öffentliche Leitbild des Landes und, und, und.

In diesem Sinne: Bewegt euch.

Originaltext für „Die Brücke“, Nr. 173-174, Februar/März 2016, S. 26-27

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