Philip Taylor und Aryeh Weiner von ArtEZ beim Gespräch mit den Schüler*innen

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Corpi in Mostra und FormAzione Tersicore

Patricia Stöckemann bloggt über Mauro de Candias europäische Ausbildungsplattform in Italien

Diese einzigartige Plattform hat Patricia Stöckemann wiederholt so beeindruckt, dass sie unsere Leser/innen nun daran teilhaben lassen möchte.

Barletta/Italien, 23/03/2016

Von Patricia Stöckemann

Mitte März habe ich „Corpi in Mostra“ zum zweiten Mal miterlebt. Und wieder hat mich diese einzigartige Plattform, die Abschluss des Programms „FormAzione Tersicore“ ist, so beeindruckt, dass ich diesmal darüber berichten und informieren möchte. Mauro de Candia hat dieses Projekt initiiert und richtet es in seiner Heimatstadt Barletta (Italien) seit vielen Jahren für den Tanznachwuchs seines Landes aus. Obwohl der 35jährige Choreograf mehr als die Hälfte seines Lebens nicht mehr in Italien lebt, blieb es sein Anliegen, jungen italienischen Ballett/Tanzschüler/innen das zu ermöglichen, was er selbst in seiner Karriere erfahren durfte: Unterstützung und eine hervorragende Ausbildung. Beides hat er von Marika Besobrasova, der legendären russischen Ballettpädagogin, mitbekommen. Sie hat den damals 10jährigen entdeckt und gefördert. Durch ein Stipendium konnte er bei ihr an der Ballettakademie in Monte Carlo studieren.

Italien ist ein Land mit viel tänzerischem Potential und tanzbegabten Menschen. Aber an professioneller Ausbildung und Wissensvermittlung über diese Kunstform und ihre verschiedenen Tanzrichtungen mangelt es. Künstlerische Entwicklungen und Initiativen – nicht nur im Tanz – werden zu oft durch eine komplizierte und unzuverlässige Bürokratie behindert, ja verhindert. Man braucht Widerstandskraft und einen rigorosen Willen, um sich gegen schwerfällige Strukturen, die auf allen Verwaltungsebenen herrschen, durchzusetzen. Das, was gestern noch galt und zugesagt wurde, gilt heute nicht mehr. Absprachen oder Planungssicherheit scheinen Fremdworte in dem Land, das so viel kulturellen Reichtum besitzt und ihn dennoch nicht wirklich zu nutzen und zu fördern weiß.

Mit seinem Programm „FormAzione Tersicore“, das jährlich mit „Corpi in Mostra“ abschließt, hat Mauro de Candia 2008 begonnen, seinen eigenen Weg zu gehen, um tanzbegabten Kindern und Jugendlichen in Italien Ausbildungsperspektiven, Förderung und Unterstützung zu geben. In dem kleinen Tanzstudio des Teatro Curci in Barletta, einem wunderschönen, alten, typisch italienischen Theater des 19. Jahrhunderts, begann er sein Projekt zu entwickeln und mit viel Durchsetzungskraft über die Jahre auszubauen.

Anfangs lud er für ein Wochenende pro Monat internationale Ballettpädagogen bzw. ehemalige Solisten der Ballettakademie Monte Carlo, der Pariser Oper, von Sidi Labi Cherkaoui oder Mats Ek nach Barletta ein, die Schüler/innen privater Ballettschulen aus Apulien Meisterklassen gaben. Schon kurze Zeit später musste dieses Programm auf andere Regionen des Landes erweitert werden. Bedarf und Nachfrage waren und sind groß, denn Ballettschulen haben in Italien eine stärkere Präsenz und größeren Zulauf als hierzulande. So sind inzwischen Schulen aus Kampanien, Venetien, Abruzzen, Apulien, der Emilia-Romagna und der Toscana Teilnehmer des Programms. Sie erhalten von Dezember bis Februar ein- bis zweimal im Monat an einem Wochenende von de Candia organisierte Meisterklassen. Diese Klassen vermitteln nicht nur den tanzbegeisterten Kindern und Jugendlichen einen Maßstab für sehr guten Unterricht in den verschiedenen Tanzstilen und Einblick in die Anforderungen an einen professionellen Tänzer, sondern sie geben auch den Lehrenden an den privaten Ballettschulen neue Impulse und fordern zu einem Nachdenken über das eigene Metier heraus.

Zu einem besonderen Anreiz ist längst die Plattform „Corpi in Mostra“ geworden, mit ihrem informellen Verbund von Leitern/Vertretern internationaler Tanzakademien und Ausbildungsinstitute: der Académie de danse Princesse Grace in Monte Carlo (Monaco), der ArtEZ School of Dance in Arnheim (Holland), der Northern Ballet Academy in Leeds (England), der Hungarian National Ballet Academy in Budapest (Ungarn), dem Conservatorio Superior de Danza de Madrid (Spanien), der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, der Ballettschule Theater Basel (Schweiz), dem Conservatoire National Supérieur Musique et Danse de Lyon (Frankreich), der Royal Ballet School of Antwerp (Belgien), der Rome International Dance Academy RIDA (Italien). Die unterschiedlichen Ausrichtungen, Programme, Ansätze und Biografien dieser Akademien sind für Mauro de Candia entscheidend gewesen, sie als Partner zu gewinnen. Denn sie spiegeln auf Ausbildungsebene die Vielfalt des Tanzes wider. Und sie stehen hinter dem Anspruch von de Candia, „den Studierenden ein fundiertes Wissen über Tanz und Bewegung, unabhängig von Stil und Ästhetik, in der Ausbildung mitzugeben“.

„Corpi in Mostra“ richtet sich an die Schüler/innen Italiens, die eine professionelle Ausbildung anstreben oder über eine solche nachdenken und sich ausprobieren wollen. Die Plattform gibt ihnen eine erste Orientierung für ein potenzielles Tanzstudium und weist ihnen einen möglichen Weg aus dem Dickicht bei der Suche nach der passenden Ausbildungsschule. Ambitionierte Schüler/innen müssen nicht zur Audition einer Tanz-Hochschule oder -Akademie (ins Ausland) fahren, sondern die Direktoren und Leiter der europäischen Ausbildungsinstitute kommen zu ihnen nach Italien. In den verschiedenen Klassen von Ballett über Zeitgenössisch bis hin zu Improvisation entdecken sie die für ihr Ausbildungsprofil passenden Schüler/innen, bieten ihnen gegebenenfalls einen Ausbildungsplatz an, oder schlagen ihnen vor, vielleicht erst einmal einen Sommerworkshop als Schnupperkurs zu besuchen. Am Ende kann es geschehen – wie in diesem Jahr – dass ein/e Schüler/in von mehreren Ausbildungsinstituten einen Studienplatz angeboten bekommt. Der- oder diejenige hat dann die Qual der Wahl. Die Präsentation der Akademien und Hochschulen hilft dann vielleicht bei der Entscheidungsfindung, denn sie bietet Interessierten die Möglichkeit, sich ein noch genaueres Bild von dem zu machen, was sie wo erwartet.

Einen weiteren eindrucksvollen Einblick in die Profile der einzelnen Schulen gibt die von Mauro de Candia vor zwei Jahren ins Leben gerufene Tanzgala „Tersicore“ der Ausbildungsschulen bzw. ihrer Student/innen zum Abschluss von „Corpi in Mostra“. In Solos oder Duetten von Choreografen, mit denen die Studierenden während ihrer Tanzausbildung arbeiten oder gearbeitet haben, zeigen sie ihr tänzerisches Können und damit zugleich, wofür die Schule steht. So präsentierte beispielsweise die Frankfurter Hochschule ein Duett von Marc Spradling, die Hungarian National Ballet Academy einen klassischen Pas de deux von Vasily Vainonen und die Ballettakademie Monte Carlo kam mit einem Duett von Marco Goecke. Eine grandiose Leistung. Und das auf der schrägen Bühne des Teatro Curci, mit einer Neigung von 3,5 % – wie in Italien üblich. Eine zusätzliche, aber spielerisch gemeisterte Herausforderung für die professionellen Studenten.

Was „Corpi in Mostra“ für die beteiligten Partner-Akademien aus Europa bedeutet, zeigen Ausschnitte aus kurzen Interviews, die ich zum Abschluss der Plattform mit einigen Leitern/Direktoren geführt habe.


Philipp Taylor, der in diesem Jahr als Vertreter von ArtEZ in Barletta war, resümiert: „Wir haben jedes Jahr jemanden aus Italien von „Corpi in Mostra“ in unsere Schule aufgenommen. Es gibt inzwischen eine kleine italienische ‚Familie‘ in ArtEZ. Bei uns ist Englisch Voraussetzung, weil sich die Schüler/innen verbal äußern müssen, viel theoretischen Unterricht haben und über Vorstellungen schreiben müssen. „Corpi in Mostra“ und „FormAzione Tersicore“ sind etwas ganz Eigenes, was es meines Wissens nirgendwo sonst gibt. Die Schüler/innen in Italien bekommen hier die Chance, internationale Künstler/Lehrer zu treffen, bei ihnen Unterricht zu nehmen und ggf. ein Angebot für ein Studium zu erhalten.“


Sara Lourenco hat die Schule ArtEZ von Anfang an mitvertreten. 2013 ist sie nach Rom gezogen, um ihre eigene Ausbildungsschule zu gründen, die Rome International Dance Academy RIDA. Seit diesem Jahr ist sie mit ihrer Akademie Partner von „Corpi in Mostra“: „Letztes Jahr habe ich hier vier Studenten ausgewählt. Andere Projekte fragen die Ausbildungsschulen nach Auditions. Dieses Projekt ist toll, weil die Studenten die Direktoren verschiedener Schulen alle an einem Ort sehen und erleben. Auch die Workshops machen Sinn, weil sie nicht vorgeben etwas zu sein. Da ist nichts Aufgesetztes. Die Menschen von „Corpi in Mostra“ geben mir Inspiration. Je mehr wir uns kennenlernen, desto mehr vertrauen wir einander und können uns austauschen. Ein Austausch unter Kollegen und offene Gespräche über das, was wir entwickeln (wollen). Es ist eine tolle Plattform; so etwas gibt es sonst nirgends.“


Dieter Heitkamp, Direktor der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main war zum zweiten Mal in Barletta: „Mich interessiert zu schauen, was an anderen Schulen passiert und wie dort vorgegangen wird. Frankfurt macht keine internationalen Auditions mehr, geht also nicht mehr ins Ausland und bietet dort Auditions an. Wir sind ein Direktorium von drei Leuten, die alle mitentscheiden, wer für eine Ausbildung bei uns in Frage kommt. Ich kenne ein Format wie „Corpi in Mostra“ sonst nicht, nur den Austausch von Studenten bei der internationalen Tanzbiennale. Aber bei „Corpi in Mostra“ geht es um Schüler/innen, die noch eine Tanzausbildung beginnen wollen und sich hier orientieren können. Sie haben dann bei der Gala die Gelegenheit, andere Studenten kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Für Italien ist „Corpi in Mostra“ eine gute, wichtige Initiative, weil viel in die Konservierung von Kunst fließt und nicht in die Förderung von jungen Menschen und in neue Ansätze. Einigen Schüler/innen, die ich hier in meinem Unterricht und dem der anderen erlebt habe, werde ich sagen: Kommt in Frankfurt vorbei und macht die Audition - wie gesagt, wir entscheiden zu dritt. Und ich bin alleine hier.“


Luca Masala ist seit 2009 Direktor der Académie de danse Princesse Grace in Monte Carlo und sagt: „Ich bin 2010/11 erstmals bei „Corpi in Mostra“ dabei gewesen; die Akademie aber von Anfang an, durch Marika Besobrasova. Ich selbst kenne Mauro seit langem und schätze, wie er sein Land unterstützt. Ich habe drei Schüler/innen von „Corpi in Mostra“ in Monte Carlo. Es ist eine gute Idee, die Tanzakademien einzuladen, hierher (nach Barletta) zu kommen; hier sieht man als Lehrer/Leiter dann verschiedene Schüler/innen. Ich bin Italiener und weiß, es gibt viel Talent und Leidenschaft in diesem Land. Aber so viele Kompanien sind geschlossen worden: in Bologna, Triest, Florenz. Ich sehe jedes Jahr 7000 Schüler/innen weltweit: in Japan, China, Korea, Russland, Spanien Mexiko, den USA. „Corpi in Mostra“ ist aber besonders, nicht nur um Schüler zu entdecken, sondern auch, um von den Kollegen und den Menschen – wie euch – die ihr hier seid zu lernen. Ich gehe mit einer Bereicherung von hier weg und bin anders, als ich kam.“
 

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