„Sacre“ von Sasha Waltz

„Sacre“ von Sasha Waltz

So ganz wirkt die Erotik heute nicht mehr

Sasha Waltz & Guest zeigen bei den Oster-Tanz-Tagen in Hannover drei Choreografien

Irgendwo zwischen gestern und heute bewegt sich dieser dreiteilige Abend mit „Sacre du Printemps“, „L’Après-midi d’un faune“ und einem Ausschnitt aus „Roméo et Juliette“.

Hannover, 30/03/2016

Sasha Waltz & Guests gehört zu den Aushängeschildern des deutschen Tanzes. Nach den so überraschenden wie spannenden Körpererkundungen in ihrer Zeit an der Schaubühne in Berlin hat sie ihre Bewegungssprache auch an klassischen Kompanien und Schlüsselwerken der Ballettgeschichte ausprobiert. So an Igor Strawinskys „Sacre du Printemps“, das nach Gastspielen in Brüssel und Berlin nun auch ein Höhepunkt der 13. Oster-Tanz-Tage an der Staatsoper Hannover war.

Das mit stampfenden Rhythmen und Dissonanzen gefeierte auch erotische Frühlingserwachen hatte bei der Uraufführung 1913 in Paris noch Skandal gemacht. Heute kann so ein bisschen Kopulationsmusik keinen mehr erschrecken. Eher ist die archaische Handlung mit ihrem biologistischen, sexualfixierten Männer- und Frauenbild eine Herausforderung. Kann man die Geschichte von der Jungfrau, die im Fruchtbarkeitskult geopfert wird, heute noch so erzählen? Und wie anders erzählen, wo Pina Bausch doch schon 1975 überzeugend die Adaption ins gleichberechtigte Zeitalter geschafft hat, ganz ohne Opfer: Da bereiten sich Frau und Mann auf den Schlüsselakt vor und kommen dabei am Ende passgenau nebeneinander zu liegen, nicht übereinander. Die Vereinigung ist Illusion, die Gefühlswelten der Individuen bleiben verschieden, selbst wo die Körper übereinstimmen.

Waltz nun macht das Werk über weite Strecken zu einem Fallbeispiel in Gruppendynamik. Ein Ansatz, den John Neumeier mit seiner „Sacre“-Fassung als anschwellende Massenaggression ebenfalls schon in den 70ern gewählt hat. Bei Waltz freilich sind die Figuren weniger stilisiert, sondern wirken auch in ihrer lockeren, alltäglichen Kleidung heutig. Zwangsläufig muss man bei diesem zusammengewürfelten Haufen auch an aktuelle Flüchtlingsbewegungen denken, die bei der Uraufführung der Waltzschen Fassung durch das Mariinsky-Ballett noch nicht von so brennender Sichtbarkeit auch in Europa waren. Von der familiären Dreiergruppe bis zu den großen, militärisch-manifest wirkenden Reihen oder einer zugespitzten Phalanx, von der das intime Glück eines Paares bedroht wird, bilden die Tänzer wie zufällig verschiedene soziale Gefüge aus. Gesellschaft ist dabei bergende Gemeinschaft ebenso wie aufsaugende Masse mit ausgrenzender Außenwirkung.

Waltz nimmt dabei die orgiastische Dynamik der Musik auf, da wird die ganze Gruppe durchgerüttelt, mal ekstatisch gehüpft, mal der Nächste angesprungen. Es gibt Zartheit, wenn Männer an den Bäuchen der Frauen horchen. Und Aggression, wenn sie ihn ohrfeigt oder er sie am Hals davonzerrt. Überzeugend wirkt das besonders, wenn die Zweiteilung nach Männern und Frauen aufgelöst ist, wenn Gestalten in weiten Mänteln diffuse Angst verbreiten, man nicht recht weiß, ob und wen sie ergreifen werden.

Ohne Opfer scheint es immer noch nicht zu gehen. Halb getrieben, halb freiwillig entblößt sich eine Tänzerin und wälzt sich unter ekstatischen Zuckungen bis unter den Riesenstahl, der sich schon das ganze Stück über langsam von der Decke senkte. Da wird der soziologische Ansatz dann doch wieder ins Phallisch-Erotische gekippt, das einem heute obsolet vorkommt. Das Frauenopfer, das sich hier nackt prostituieren muss, huldigt eigentlich einer falschen Archaisierung. Gleichwohl können Frauen Opfer einer aggressiv-machistischen Weltordnung werden. Wie es zurzeit Benachteiligte jederlei Geschlechts in den Migrationsbewegungen unserer Tage auch sind. Die sexuell-voyeuristische Aufladung der Waltzschen Schlusssequenz verengt da und lenkt vom gesellschaftlichen Grundproblem sogar eher ab.

Zum „Sacre“-Abend von Sasha Waltz & Guests gehören noch zwei Vorspiele. Davon ist der „L’Après-midi d’un faune“ mit seinen extrem verlangsamten Bewegungen, den faunischen Seitenliegefiguren aus schräg gestreckten Gliedern, dem plötzlichen Durchrütteln des Körpers und lustvollen Verfolgungen und Verwicklungen das erotisch attraktivste. Die Nijinskysche Reliefsprache klingt dabei ebenso an wie in den knallfarbigen Bademoden die Fleckung der damaligen Kostüme. Inzwischen freilich gebärden sich alle als Faune, prickelt jedes langsame Folgen, jede zufällige Berührung von unschuldiger Erotik, gesteigert durch ein sinnliches Lippenstiftspiel. Hier ist Waltz wieder nahe an den Etüden aus der Zeit ihrer „Körper“-Choreografien.

Dagegen entfaltet ihre „Scène d’amour“ aus dem einst für Paris entworfenen Romeo-und-Julia-Ballett auf Berlioz wenig Liebesreiz. Ja, das ist alles zart und duftig dem klassischen Vokabular nachgeformt und hat, vom Ballett der Pariser Oper getanzt, als legere Umspielung der alten Figuren, die tief in jenen Tänzern stecken, auch seinen Charme. Vor einem modernen tanzsprachlichen Hintergrund wie hier und aus dem Zusammenhang der Gesamtchoreografie gerissen, fehlt es Lorena Justribo Manion und Ygal Tsur an leidenschaftlicher Unbedingtheit, die jenem Paar eignen sollte. Die gestreckten Arme, halbe Spitze, das wehende Kleidchen, Heben und Verlassen bleiben geschmackvolle Tändelei, wo man existentielle Körpersprache erwarten würde. Zumindest in dieser Dreier-Kopplung sieht das gar zu sehr nach Gala-Schnittchen aus. Da hätte Waltz sich lieber einen drastischen „Boléro“ ausdenken sollen. Applaus findet sie freilich damit immer, auch in Hannover in Ovationenstärke.
 

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