„Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ von Pina Bausch. Tanz: Ensemble

„Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ von Pina Bausch. Tanz: Ensemble

Ein Glanzstück für die Tänzer

Pina Bauschs „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ beim Bayerischen Staatsballett

Nach langjähriger Arbeit und mit viel Hartnäckigkeit ist es endlich gelungen eine Choreografie von Pina Bausch nach München ans Bayerische Staatsballett zu holen.

München, 06/04/2016

So viele Bilder! So viele schmelzend schöne lateinamerikanische und hard-rockige US-Musiknummern. So viel tänzerische Bewegung und heiter-ernste Sprechszenen. Kein Zweifel: Wir sehen hier ein Tanztheater der großen Pina Bausch (1940-2009). Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre rebellierte sie gegen ein im klassischen Code erstarrtes Ballett und initiierte zugleich die neue dramaturgische Form der Szenen-Montage. Im Rahmen von „Tanzland Deutschland“ konnte Bettina Wagner-Bergelt, treibende Kraft im Staatsballett für modernen Repertoire-Zugewinn, etwas spät, aber noch rechtzeitig zum Abschied ihres Chefs Ivan Liska, von Wuppertal Pina Bauschs „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ (2002) erwerben. Das Publikum beim Auftakt der Ballett-Festwochen (bis 19.4.) im Münchner Nationaltheater dankte mit tosendem Schlussapplaus.

Es ist ein Werk aus dem späten Oeuvre mit naturgemäß besänftigter Rebellion, wo auch wieder - was lange Zeit nicht der Fall war - getanzt wird. Und nun schwebt über dem Abend überzeugend so ein „Ja, wir können Bausch!“ In Peter Pabsts puristisch weißem Guckkasten, der sich später, in Wandteile aufgelöst, auch im Raum tanzend verschiebt, sitzen zwei Männer auf einem Tisch. Der eine kippt seitlich weg, der andere hält ihn in letzter Sekunde am steil hoch gestreckten Bein fest, bevor der sich den Kopf aufschlägt. So mehrmals. Kinderspiele will die Bausch hier in Erinnerung rufen, Bewegungsdrang, Mutproben von Halbwüchsigen, die bäuchlings auf rollendem Untergestell über die Bühne schießen, mit dem Brustkorb gegeneinander rennen wie rivalisierende Bullen im Paarungsfieber; auch die jugendliche Aufmüpfigkeit, wenn sich die fünfzehn Mitwirkenden mit Besenbürsten provozierend die Haare ins Gesicht peitschen.

Dann die Probleme der Heranwachsenden: Scheu vor dem anderen Geschlecht, aber doch gefallen, berühren, geliebt werden wollen. „Liebst du mich“, fragt Matteo Dilaghi – beeindruckend seine in sich ruhende Präsenz, auch in dem „Fingertanz“-Solo – die hinreißend kernige Partnerin Marta Navarrete Villalba, die ihn mit rauchigem Hispano-Akzent hinhält: „Vielleicht... mal sehen... aber nur eine halbe Minute.“ Ihr Hauptthema, die komplexe, sehr gut Romanfüllende Mann-Frau-Beziehung spielt die Bausch grandios in Sekundenszenen durch: Sehnsucht, Abweisung, Frustration und erkaltete Liebe. „This is my wife“, sagt Matej Urban, dicht vor Séverine Ferrolier stehend, und schaut mit gefühlsleerem Blick ins Publikum. So sehr das Stück wie ein traumartiges Puzzle anmutet – wunderschön die poetisch leisen Stimmungen –, Bausch schlägt doch sehr klar den Bogen von der Kindheit zum Erwachsenwerden.

Ihre Bildaussagen haben weniger kämpferischen Biss als früher, wirken gelegentlich rein dekorativ. Auf manche Szene, wo sie sich Kindisch-Kindliches erlaubt, könnte man verzichten. Aber unschätzbar ihr Arbeiten an und mit dem Tänzer, wo er ganz zu sich selbst findet. Da liegt das wichtige Tanzerbe! Das Staatsensemble kann selbstredend nicht die Bühnenschwerkraft aufbringen von langjährigen Bausch-Mitgliedern, die ihr Tanztheater ja miterschaffen haben. Aber hier sind doch einige zu ihrer eigenen Persönlichkeit gereift, können plötzlich mit tragender Stimme sprechen, holen die Bewegungen aus dem tiefsten Inneren hervor und lassen sie als gelebtes Gefühl, heiter oder schmerzvoll, in den Raum hinein fließen - wie Joana de Andrade, die bis jetzt im Ensemble unterging und die Seele des Abends war.

Profitiert haben alle fünfzehn. Die Frauen in Marion Citos transparenten Blumenbestickten Traumkleidern werfen sich in diese den ganzen Oberkörper biegenden, wirbelnden Soli, flattern wie Vögel, wie Fledermäuse und verweisen auf das vorgelesene Märchen vom erblindeten Eichhörnchen, das in eine Fledermaus verwandelt wurde – und endlich fliegen konnte. Fliegen können hier die Männer, sogar in verdrehten Sprüngen, schlittern und zucken dann halsbrecherisch über den Boden. Im tänzerischen Teil ist die Bausch absolut zeitgenössisch. Auch darum ist es schade, dass unter Igor Zelenskys anstehender Direktion das Bausch-Stück nicht mehr zu sehen sein wird.

nochmals am 8.4. und bei den Opernfestspielen am 27.6. und 29.6.
 

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