„Until The Lions“ von Akram Khan. Tanz: Ching-Ying Chien, Christine Joy Ritter und Akram Khan

„Until The Lions“ von Akram Khan. Tanz: Ching-Ying Chien, Christine Joy Ritter und Akram Khan

Urformen menschlichen Umgangs in mythischer Allgemeingültigkeit

Akram Khans „Until The Lions“ hatte Deutschlandpremiere bei den Movimentos Festwochen in Wolfsburg

Was für eine Körpersprache, welch großartige Verbindung von archaischen Bewegungsmodi und kraftstrotzender ritueller Gestik.

Wolfsburg, 21/04/2016

Dass sich in der Wolfsburger Autostadt nicht nur die Räder bewegen, sondern auch Körper, Herzen, der Geist, ist das Verdienst eines um Nachhaltigkeit bemühten Kreativteams um die scheidende Kreativdirektorin Maria Schneider und ihren künstlerischen Ko-Direktor Bernd Kauffmann, die zusammen das Movimentos-Festival in die Welt des Fahrzeugbaus haben sprießen lassen. Rund um das Kraftfeld Tanz als ursprünglichste Form der Fortbewegung werden auch thematisch sortierte Lesungen und Konzerte arrangiert. Unverwechselbar und faszinierend ist aber vor allem der Tanz auf der Bühne im Kraftwerk, einem mythischen Industrieort wie Zeche Zollverein, der sich wunderbar mit der Ästhetik des Tanzes und der Tänzer reibt. Im Programm stets nur deutsche Erstaufführungen, sich von den heiteren Multi-Kulti-Tänzchen der Compagnie Montalvo aus Paris vorwagend bis in die Avantgarde des internationalen Tanztheaters. Wayne McGregor war da, Tero Saarinen, Dave St-Pierre - und nun Akram Khan mit „Until The Lions“.

Ein Abend der soghaften Verzauberung. Was für eine Körpersprache, welch großartige Verbindung von archaischen Bewegungsmodi tierischen Ursprungs und kraftstrotzender ritueller Gestik. Da führt der britische Choreograf, der seine bangladeschischen Wurzeln im Studium des Kathak-Tanzes wieder ergründet hat, zugleich tief hinab in die Urformen menschlichen Umgangs und auf die Höhen mythischer Allgültigkeit.
 Es geht um eine frühe Geschichte der Frauenemanzipation, aufgezeichnet im indischen Mahabharata weit vor Christi Geburt. Die Frau wird von dem der Keuschheit verpflichteten Krieger sitzen gelassen, in einen Mann verwandelt kann sie sich rächen. Khan tanzt selbst den Krieger, Ching-Yin Chien mit weit wehendem Haar die Frau, deren männlich-kämpferische Seite Christine Joy Ritter verkörpert. Sie kriecht anfangs wie eine Löwin auf die erdtönige Spielfläche und referiert damit auf einen anderen Mythos, wonach die Zeit anbrechen wird, in der die Beute, etwa die Löwen, die Geschichte schreiben werden und nicht mehr die Sieger.


Und so kommt es auch in Khans bannendem Stück, begleitet mit wunderbar suggestiven Klängen von einer Musikantenschar, die den ganzen Aufzug zu einem archaischen Fest werden lässt. Sie schreien und klingeln, singen und schlagen brachial den Rhythmus aufs Holz. Zunächst tanzt die Frau (Chien), zart, filigran, mit den feinen Handbewegungen des Tempeltanzes, hüpfend, unbeschwert. Der Mann (Khan) gibt das Zeichen zur Jagd, eine rundlaufende, flatternde Eroberungszeremonie, in die sie Zärtlichkeit trägt, wenn sie ihn streichelt, dann sich mit seinen Händen streichelt, endlich gestreichelt wird. Und ekstatisch vereinen sie sich in verschränkten Unterleibern.
 Doch dann lässt er sie allein. Großartig tanzt Chien auf einem Bein, reißt sich die Haare und am Fuß, eine wütende Beschwörung der Verletztheit, unter der die Spielfläche aufreißt und ihr rächendes Alter Ego, die ‚Löwin’ (Ritter), wiederkehrt.
Den Speer quer durch den Mund gesteckt, die Hände vorm Gesicht wird sie zur Kriegsmaske. Noch einmal gibt es Bewegungen wie aus der Liebesvereinigung, dasselbe kann unter anderen Gefühlen plötzlich erniedrigend, vernichtend sein. Die Rache wird vollzogen, ihr Speer trifft ihn, die Löwin hat Geschichte geschrieben. Hier sind Urtriebe am Werk, zur Liebe gehören auch Enttäuschung und Hass. Akram Khan hat das in einem körpersprachlich packenden Ritual auf die Bühne gebracht.

Mit freundlicher Genehmigung des Braunschweiger Zeitungs-Verlags.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge