„Forca Forte“ von Cie Gilles Jobin. Tanz: Gilles Jobin und Susana Panadés Diaz

„Forca Forte“ von Cie Gilles Jobin. Tanz: Gilles Jobin und Susana Panadés Diaz

Tanzende Großmütter, Noam Chomsky und 3D

Das Schweizer Tanzfestival Steps in Basel

Technische Brillanz, klare inszenatorische Strukturen und eine neoklassische Basis ziehen sich wie ein roter Faden durch das Programm.

Basel, 24/04/2016

Alle zwei Jahre wird die Schweiz für einige Wochen zu einer großen Bühne. Auch dieses Jahr wartet das alle zwei Jahre stattfindende Tanzfestival Steps mit 11 Kompanien und 82 Aufführungen in 35 Städten auf. Ungewöhnlich ist diese dezentrale Gestaltung des Festivals, gruppiert sich doch meist alles um ein einziges Festivalzentrum. Geht vielleicht ein bisschen Festivalatmosphäre verloren, so wird doch ein sehr breites Publikum erreicht, wie sonst vielleicht nirgends.

Sechs der elf beteiligten Kompanien waren auch in Basel und Umgebung zu sehen. Vielfältig waren die Vorstellungen und doch zogen sich technische Brillanz, klare inszenatorische Strukturen und eine neoklassische Basis wie ein roter Faden durch das Programm. Nicht nur in der Einbettung aktueller technischer Möglichkeiten, wie einer ausgeprägt feingliedrigen Bühnenbeleuchtung, elektronischer Klangkulissen, Computeranimationen und 3D-Projektionen zeigt sich das diesjährige von der Künstlerischen Leiterin Isabella Spirig ausgewählte Motto „Zukunft“, auch tanztechnisch bewegten sich die meisten Kompanien im Rahmen aktueller Entwicklungen. Und doch waren die beiden herausragendsten Abende gerade die, die es schafften neben aller technischen Perfektion eine Geschichte zu erzählen oder ein Statement abzugeben.

Eine davon ist die Produktion der koreanischen Choreografin Eun-Meh Ahn. Durchs ganze Land ist sie gefahren, hat Großmütter beim Tanzen gefilmt und aus diesem Material eine berauschende Bühnenshow gemacht. Knallig bunt, an asiatische Animationsfilme erinnernd und in rasendem Tempo bleibt „Dancing Grandmothers“ ganz nahe am Bewegungsvokabular der alten Frauen, virtuosiert es jedoch bis hin zu atemberaubender Akrobatik. Keine Pause gönnt sie ihrer jungen Kompanie, wenn diese zu lauten Technobeats ununterbrochen in Bewegung ist. Zwischen Saltos und Pirouetten erscheint ab und zu die Haltung einer gebückten, langsam sich vorantastenden Großmutter und verknüpft beide Bewegungsmuster auf wunderbare Weise. Leiser wird es, wenn einige der alten Damen selbst auf die Bühne kommen; typische Gesten wie eine Umarmung der Enkelkinder oder das Wischen des Bodes gehen über in intensive, mit so viel Leidenschaft wie Naivität, im positivsten Sinn, getanzte Soli zu koreanischen Popsongs. Ahns Choreografie ist eine technisch beeindruckende und emotional bewegende Verneigung vor der Lebenserfahrung, der Energie und der Schönheit aller Großeltern.

Obwohl ästhetisch fast konträr reißt auch Sidi Larbi Cherkaouis „Fractus V“ das Publikum schon bei den ersten Applaussekunden geschlossen von den Sitzen und die 80minütige Choreografie über mediale Kontrolle, Totalitarismus und die Determiniertheit des Denkens wird mit Standing Ovations bejubelt. In dezenten Blautönen gehalten reihen sich einzelne Szenen aneinander, die die fünf Tänzer in detaillierten Deklamationsgesten genauso wie in exzessiven Gewaltszenen zeigen. Fünf verschiedene Tanzhintergründe treffen hier aufeinander und finden in zeitgenössischer Technik zueinander, ohne die eigene Herkunft zu verleugnen. Genauso verknüpfen sich unterschiedliche Musiktraditionen und lassen eine ganz eigene Harmonie entstehen. Harmonie, Ruhe und Weichheit prägen die gesamte Choreografie, die ihren kritischen Statements (Texte von Noam Chomsky) und Gewaltszenen damit eine ganz neue Qualität verleiht. Beeindruckend sind die Holzdreiecke, die in immer neuen Formationen Böden und Wände bilden. Wenn dann am Ende alle Beteiligten „Adieu paure Carnaval“, ein altes okzitanisches Volkslied, anstimmen, bekommt „Fractus V“ noch einmal eine ganz neue Rahmung und verweist trotz aller politischen Aktualität und Medienkritik auf seine Theatralität.

Genauso aktuell aber in ganz anderer Gestalt zeigt sich die Company Wayne McGregor in „Atomos“. Choreografiert bis in den kleinsten Fingern, zeigt die Kompanie eine tänzerische Qualität, die in ihrer Exaktheit und technischen Brillanz staunen lässt. Extrem weiche Rücken, weitgreifende Arme und hohe Beine bestimmen die Bewegungen, die in einer sterilen, fast kalt anmutenden Atmosphäre ausgezeichnet in unsere technisierte Zeit passt. Gesteigert wird das alles noch durch sieben herabhängende Screens, die Muster in 3D zeigen. Langsam schleicht sich Realität in die Videoprojektionen, wenn die computeranimierten Bilder durch Aufnahmen von Tänzern abgelöst werden. Und dann wird es immer konkreter: Industrieanlagen und Ameisen sind nicht nur optisch interessant in Szene gesetzt, sondern lassen sich auch als politische oder gesellschaftskritische Zeichen lesen. Am Ende wird alles weich und warm, Erdfarben dominieren. So zeigt „Atomos“ nicht nur die choreografische und technische Kunst von McGregor und seiner Kompanie, sondern kann auch als gesellschaftliches Statement gelesen werden.

Die Lust am Tanzen dagegen zieht sich durch den Abend des Ballet Junior de Genève genauso wie die beeindruckend saubere und akkurate Technik der Nachwuchskompanie. In ihrem Abend „Fierce“, der drei Ausschnitte aus Stücken israelischer Choreografen zeigt, lassen die jungen Tänzer das Publikum über ihre Vielseitigkeit staunen. Tänzerisch am bewegendsten ist sicher der Einstieg des Abends mit Sharon Eyal und Gai Behars „BILL“, am unterhaltsamsten dagegen der Abschluss mit dem tanztheatralen „Rooster“ von Barak Marshall, auch wenn es am Ende mit einem dem Publikum entgegengehaltenen Schild „Don’t Follow Leaders“ etwas zu plakativ wird. Hofesh Shechter ist in „In Your Rooms“ bekannt energiegeladen und man bedauert es auch hier nur einen Ausschnitt sehen zu können.

Deutlich konventioneller ist dagegen der Abend der Sydney Dance Company. Rafael Bonachelas „2 in D Minor“ wirkt trotz seiner interessant zwischen Fluss und Segmentierung angesiedelten Bewegungsabläufe etwas ziellos. Eindeutig spannender ist da Jacopo Godanis „Raw Models“. Amöbenhaft bewegen sich Tänzerinnen und Tänzer durch eine Flut an Lichtwechseln. Auffallend sind das extrem weiche Becken sowie ständig stattfindende Brüche, die das Publikum in Atem halten. Ganz theatral ist dagegen Gideon Obarzaneks „L’Chaimi“ zu jiddischen Volksliedern. Am Ende, wenn sich alle in einer Gruppe zusammentun, wissen wir: Tanz verbindet, Tanz macht glücklich. Alles in allem lässt dieser Abend einiges an Spannung zu wünschen übrig, was aber auch an dem Raum im Burghof Lörrach liegen könnte. Viel zu weit und luftig ist dieser, die Bühne wirkt verlassen und die Konzentration kann allzu leicht abschweifen.

In kleinerem Rahmen ist die neue Choreografie von Gilles Jobin im Theater Roxy zu sehen. Als einzige Uraufführung des Festivals präsentiert der Schweizer Tanzpreisträger sein neues Stück „Forca Forte“. Zu Beginn eine Videoprojektion, in der zwei durch Computerprogramme veränderte Körper im virtuellen Raum umeinander kreisen. Schöne Bilder und ungewohnte Perspektiven sind hier zu sehen. Wenn die Leinwand dann Platz macht für Jobins Partnerin (Susana Panadés Diaz), die genauso wie er im Countrylook erscheint, bleiben beide im gleichen Bewegungsmuster: sie stehen in gegenseitiger Anziehungskraft, ohne sich zu berühren. Dann werden Wüstenbilder projiziert, Plastikkakteen werfen Schatten und Westernstimmung kommt auf. Beide Teile der Performance haben durchaus ihren Reiz, die Frage nach deren Zusammenhang bleibt jedoch offen.

Zwei spannende Tanzwochen hat Basel nun hinter sich. Von einigen Aufführungen wird man noch lange zehren, andere werden im Basler Tanzalltag vielleicht langsam in den Hintergrund rücken. Ein Gewinn bleiben sie alle.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge