„OILinity“ von Kat Válastur. Tanz: Marysia Zimpel , Nitsan Margaliot & Enrico Ticconi

„OILinity“ von Kat Válastur. Tanz: Marysia Zimpel , Nitsan Margaliot & Enrico Ticconi

Erdöl: dunkles Gebräu aus der Kriegsvase

Im Hebbel am Ufer beschreibt „OILinity“ die Angst der Welt

Wie ein menschliches Räderwerk arbeitet ein Trio Isolierter sich an einer in Angst und Hilflosigkeit erstarrten Welt ab.

Berlin, 29/04/2016

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Stellwände auf der Szene des HAU2 Pfauenmotive zu schmücken. Dann assoziiert man verzierte Bienenwaben, bis man, eingedenk des Stücktitels, auf verkettete Benzolringe kommt. Eng wie die drei Grazien stehen außermittig in Kampfanzügen mit stilisiertem Benzolmuster die Akteure. Selig indes wirken sie nicht, denn zu surrendem oder heulendem, knackendem, summendem oder raschelndem Klang zucken sie nervös mit den Köpfen, legen sie schutzsuchend aneinander, gehen zu Boden und bleiben dabei an den Händen mehr gefesselt als gefasst. Immer wieder im Verlauf der folgenden knapp 60 Minuten stoppen die Tänzer in skulpturalen Posen, als wüssten sie nicht weiter, als würde etwas sie behindern. Es stecken Be- und Verhinderungen in ihren Körpern, die flüssige Bewegung nicht zulassen; staccatohaft ruckartig durchmessen sie jenen Raum über weißem Grund, der ihre gefängnisartig unwirtliche Welt ist und von sechs Batterien Deckenscheinwerfern gnadenlos erhellt wird.

Manchmal auch pulsen die Körper synchron, pumpen mit geballten Fäusten ihre Arme, als wollten sie aus den Leibern gewaltsam etwas zutage fördern. „OILinity“ heißt, was die Griechin Kat Válastur mit sozialem Engagement choreografiert hat; und Öl scheint es auch, was den Raum ausfüllt und gebundene Bewegung unmöglich macht, Hände sich straff in den Magen bohren lässt. Ein Rätsel bleibt vorerst: In der Mitte, rechts und links am Rand liegen drei schwarz überdeckte Häufchen verschiedener Gestalt. Zu ihnen hin streben bisweilen die Tänzer, doch sind dies offenbar verbotene Zonen, von denen es sie mit fahrigen Attacken wieder fortreißt. Trancehaft drehen sie auf dem Po, nehmen Liegepositionen ein, wiederholen mechanisch ausgeführte Motive: Sie streichen sich übers Gesicht, als würden sie etwas nicht sehen wollen; führen im Liegen Bein und Arm gegensinnig und mit Widerstand. Direkte Kontakte gibt es dabei nicht, alle drei sind dennoch derselben angstvollen Situation ausgesetzt. Wie ein menschliches Räderwerk arbeitet das Trio Isolierter, irrt durch seinen hermetischen Kosmos und rudert aufsässig mit den Armen.

Lichtreflexe leiten endlich das erwartet Unerwartete ein. Die Tänzer ziehen die Tücher von den rätselhaften Skulpturen. Zum Vorschein kommen: ein spitzer schwarzer Zylinder mit ragendem Stock, an den sich ein Akteur setzt; ein Drehteil, auf das sich der andere Tänzer als ewiges Fördersymbol stellt; eine schwarze Vase, die die Tänzerin liebend an sich nimmt, um sie dann, ganz törichte Jungfrau des alten Testaments, umzustoßen. Zähe dunkle Flüssigkeit bildet eine hässliche Lache – Erdöl!? Zumindest benennt die Choreografin das Gefäß als Kriegsvase, ist Erdöl doch ein – strikt verbrämter – Kriegsgrund. Ob das Stück, bei allem Einsatz von Nitsan Margaliot, Enrico Ticconi, und Marysa Zimpel, wirklich gleich „den Zustand der vom Erdöl abhängigen westlichen Gesellschaften“ bündeln kann, mag dahinstehen. Eine in Angst und Hilflosigkeit erstarrte Welt beschreibt es sehr wohl, und dies gedanklich und ästhetisch in beeindruckend geschlossener Form.

Nochmals 29. und 30.4., HAU2

 

Kommentare

Noch keine Beiträge