„Temptress“ von Angela Kecinski

„Temptress“ von Angela Kecinski

If love is a sweet passion

„Temptress“ von Angela Kecinski beim Hauptsache Frei - Festival der Darstellenden Künste Hamburgs

Die jungen Choreografin Angela Kecinski stellt Fragen an Erotik und die Funktionalität von Bewegung.

Hamburg, 30/04/2016

Durch ein Seitenlicht beleuchtet räkelt sich ein Menschenknäuel auf dem Boden. Die drei Tänzerinnen (Nora Elberfeld, Angela Kecinski und Elisabeth Leopold) kriechen über- und aufeinander, verknoten ihre Körper miteinander, sodass man nicht mehr sicher sein kann, welches Körperteil seinen Platz wo hat. Zwischendrin blitzt nackte Haut auf. Die Tänzerinnen schleifen sich aus dem Lichtstrahl, um sich in der Intimität der Dunkelheit gegenseitig ein weiteres Kleidungsstück auszuziehen. Zurück im Licht werden die Körper zu Statuen und auf einmal ist der erotische Moment des Ausziehens in ein ästhetisches Erleben überführt. Dabei werden die Körper selbst zu Fragmenten, erscheinen abgeschnitten, so als hätte man aus einem Erotikmagazin einzelne Seiten herausgerissen und neu zusammengeklebt.

Wann und wie wird eine Bewegung erotisch? Wo fängt die Funktionalität von Bewegung an? Ab wann werden Bewegungen äußerlich und dadurch zu Posen, zu Bildern, die man mit Erotik verknüpft und aus Pornomagazinen kennt? Und ist Erotik eigentlich über Bewegung herstellbar? „Temptress“ nimmt diese Fragen als Ausgangspunkt für die Recherche und die Antwort fällt vielfältig aus. Das Bewegungsmaterial changiert zwischen erotisch-sinnlichen und plakativ-pornografischen Momenten. Stetig werden die aufgerufenen Kontexte fragmentiert und dekonstruiert. Auf einmal muten die Bewegungen tierisch an und die (‚ursprünglich’) erotische Bewegung wird in einen ganz neuen Kontext überführt. Zwischen Tierlauten und kreisenden Beckenbewegungen manifestiert sich Baudrillards Pornogarten auf der Bühne.

Die drei Performerinnen präsentieren uns durchgängig ihren Rücken oder viel eher ihr Hinterteil. Das wird geschüttelt, getwerkt und ins Publikum gestreckt. Die rückseitige Fassade der Körper wird ebenso vorgeführt wie das breite Lächeln ins Publikum, das zur Grimasse verkommt. Die Körper der Tänzerinnen zeigen sich als fremd bestimmt, ob durch das Platzieren von Körperteilen, das ‚Dekorieren’ beim gegenseitigen An- und Ausziehen oder indem das Lachen am Mikrofon den anderen beiden Tänzerinnen das Lächeln aufs Gesicht zwingt.

„Ich war an stereotypen Bewegungen interessiert“, verrät die Choreografin in dem mitternächtlichen Publikumsgespräch. „Und daran, welche Funktionen bestimmte Bewegungen erfüllen. Für unsere Recherche haben wir uns auf die Reeperbahn begeben und teilweise ernüchternde und peinliche Momente der Erotik erlebt.“ Diese Peinlichkeit überführt die Choreografin auf der Bühne in humorvolle Momente hinter denen kluge Konzepte stehen. Das Publikum lacht und kichert viel, vielleicht weil Erotik schnell sehr lächerlich wirken kann, vielleicht um die Peinlichkeit, die bestimmte Bewegungen auslösen zu überbrücken. Oder, weil es einfach Spaß macht, sich über die plakative Wirkung von stereotypen Pornodarstellungen lustig zu machen. Jedenfalls macht es sehr viel Spaß und Lust auf mehr (Erotik?).
 

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