„If I was real“ von Toula Limnaios

„If I was real“ von Toula Limnaios

In jener Nacht….

Toula Limnaios‘ „If I was real“ am Theater Münster

Seit vielen Jahren als Pädagogin und Choreografin in Münster gern gesehener Gast, fasziniert die Wahl-Berlinerin nun mit surrealen Menschenbildern.

Münster, 01/05/2016

„In jener Nacht haben wir die andere Seite gesehen,“ flüstert Maria Bayarri Pérez ins Mikrofon und unterstreicht die gesprochenen Worte mit malerischen Gesten der Gebärdensprache. Verschwommene Erinnerungen, Fantasien, Reflexionen und Träume verschmelzen in Toula Limnaios‘ neuem Tanzstück zu surrealen Menschenbildern in schwarz-weißer Optik, zwischen Licht und Schatten effektvoll in Szene gesetzt. Auf weißem Tanzboden bewegen sich die vier Tänzerinnen und vier Tänzer wie Teile eines Perpetuum mobile in schwarzen Kostümen (von Antonia Limnaios, der Schwester der Choreografin) für Männer und Frauen, für Spiel, Sport und Alltag. Begleitet von raumfüllenden Sphärenklängen und motorischem Trommeln, Klirren, Schaben, Ratschen und Grummeln elektroakustischen Schlagwerks (Musik: Ralf R. Ollertz) bilden sie immer wieder neue Raummuster. So gelingt der gebürtigen Griechin – in Münster seit vielen Jahren als Pädagogin und Choreografin ein gern gesehener Gast – eine beeindruckend klar strukturierte, dynamische Choreografie mit seltener Bewegungsvielfalt, die Hans Henning Paars kleine Kompanie konzentriert und mit individueller Ausstrahlung souverän meistert.

Zu Beginn schimmert die Gruppe nur schemenhaft durch den Gazevorhang, der Vorder- und Hinterbühne voneinander trennt. Vorn ragt ein Hüne auf (Keelan Whitmore), in den Händen eine Axt, die er in dem langen Solo wägt, pendeln lässt und im Sprung wie ein Diskuswerfer schwingt. So schön der athletische Körper, die sportlichen Posen und Aktionen auch aussehen: die latente Bedrohung bleibt spürbar, und man atmet erleichtert auf, als der muskulöse Amerikaner die Axt in einer Halterung in der Mitte der Bühnenrampe abstellt. Mit einem Solo endet Limnaios‘ Komposition wieder: nun aber tanzt, meist vom Publikum abgewendet, der ebenfalls sehr hoch gewachsene Jason Franklin, gekleidet in eine bodenlange schwarze Tüll- und Taftrobe, trägt dazu eine Kopfbedeckung, die aus manchen Perspektiven zwar wie ein Frauenhut wirkt, von vorn aber doch eher wie eine Baseballkappe mit Stirnlampe.

Mann und Frau am Anfang und Ende. Männer und Frauen im ständigen Wechsel der Kostüme dazwischen. Zunächst tanzt jeder und jede für sich vor oder hinter der Gaze. Später finden sich Paare. Kleine Gruppen bilden Cluster. Der Zwischenvorhang wird zur Videoleinwand, auf die in Großaufnahme, gelegentlich gedoppelt oder vervielfältigt, einzelne Tänzer oder Paarszenen projiziert werden. Immer wieder sprechen einzelne vage Erinnerungen in die Mikrofone. Auf den ersten Blick klingt der Titel „If I was real“ wie übelster Slang aus den Südstaaten der USA. Aber irgendwie stecken in ihm beide Aussagen - „If I were real“ (wenn ich wirklich wäre) und „When I was real“ (als ich wirklich war). Gegenwart und Vergangenheit, Möglichkeit und Wirklichkeit passen zu den surrealen Tanzbildern, angeregt durch einen Essay Albert Camus‘, und lassen ebenso viele Interpretationen, Sichtweisen und Gefühle zu wie Zuschauer im Parkett sitzen. Das Premierenpublikum feierte alle Künstler mit Ovationen.
 

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