„Farewell! - Abschiedsgruß von Kevin O'Day und Dominique Dumais“. Tanz: Maggie Forgeron und Huy Tien Tran

„Farewell! - Abschiedsgruß von Kevin O'Day und Dominique Dumais“. Tanz: Maggie Forgeron und Huy Tien Tran

Noch nie – nie wieder

„Farewell!“ - Der allerletzte Auftritt des Kevin O’Day Balletts in Mannheim

Ein Programm der Superlative, mit Nationaltheaterorchester und zehnköpfiger Live Band, weit über drei Stunden lang – die keine Minute Leerlauf mit sich brachten.

Mannheim, 28/07/2016

Kritiker kümmern sich – das bringt ihre Aufgabe mit sich – vorrangig um das erste Mal: um Uraufführungen, Premieren, um die erste Vorstellung einer Wiederaufnahme oder den Beginn einer Gastspieltournee. Natürlich hat die Spannung, die mit dem allerersten Anfang einhergeht, ihren besonderen Reiz: zumindest einen Kick Adrenalin mehr für alle Beteiligten. Die zweite, dritte oder gar fünfzigste Vorstellung folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten; Stücke werden runder, Abläufe glatter, aber im Laufe vieler Wiederholungen auch spannungsärmer und oberflächlicher. So will es das Klischee, und ganz vom Theaterhimmel gefallen ist dieses Vorurteil nicht. Die letzte Vorstellung entfaltet dann jedoch noch einmal ihre eigene besondere Dynamik.

Aber welche Vorstellung ist nun eigentlich die beste? Fragt man Beteiligte, so ist diese Frage im Vorhinein niemals eindeutig zu beantworten. Es gibt Abende - ganz egal ob zweite oder zweiundzwanzigste Vorstellung – die einen besonderen Zauber entfalten, der Akteure und Zuschauer gemeinsam wie in einer Glasglocke einschließt.

Nicht nur Tänzer, auch Zuschauer bringen mehr oder weniger positive Spannung mit ins Theater. Es ist jedes Mal ein kleiner, heilsamer Schock, ein Stück zweimal zu sehen und sich eingestehen zu müssen, wie viel man beim ersten Abend gar nicht bemerkt hat, obwohl es auch schon da war. Die Stücke, die das scheidende Leitungspaar der Tanzsparte am Mannheimer Nationaltheater (Kevin O’Day und Dominique Dumais) für ihre Abschiedsvorstellung „Farewell!“ aus dem breit gefächerten Repertoire ihrer vierzehnjährigen Amtszeit ausgesucht haben, habe ich alle mehrfach gesehen, zum Teil mit mehrjährigen Pausen: ein willkommener Anlass, auch die eigene Erinnerung auf den Prüfstand zu stellen.

Nie aber wurden diese Stücke so getanzt wie beim allerletzten Mal, der Dernière dieses Tanzabends, zugleich auch der allerletzte Auftritt des Ensembles. Noch nie war die Bewegungen im letzten Akt von Dominique Dumais‘ ehrgeizigem Projekt „Tracing Isadora“ so fließend wie pures Wasser, noch nie war die abschließende Party so hemmungslos (Kevin O’Day: „I’m with the band“), noch nie waren die vielen Pas de deux dazwischen (O’Day: „We will...“ / Dumais: „Chansons“) so traurigschön.

Ein Programm der Superlative, mit Nationaltheaterorchester und zehnköpfiger Live Band, weit über drei Stunden lang – die keine Minute Leerlauf mit sich brachten. Oder war es so, dass auch im Publikum das drohende ‚Nie wieder’ für die besondere Stimmung dieses Abends sorgte? Die Wahrheit liegt sicher auf beiden Seiten. Selbst für Kritiker ist so ein Abschied nicht alltäglich: Fünfzehn Jahre nach meinem ersten Interview mit dem ungewöhnlichen Choreografenpaar und rund 50 Premieren später ist die kritische Begleitung eines solchen Ensembles auch prägender Teil der eigenen Seherfahrung geworden.
 

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