„boom bodies“ von Doris Uhlich

„boom bodies“ von Doris Uhlich

Tanzwerkstatt Europa – Zwischenbilanz

Doris Uhlich setzt einen kritischen Kommentar und Ivo Dimchev macht seine Zuschauer zu Performern

Während Doris Uhlich mit „boom bodies“ für emphatischen Applaus sorgt, bleibt bei Ivo Dimchevs „P Project“ ein etwas schaler Geschmack zurück.

München, 04/08/2016

Das klassische Ballett hat seine Liebhaber, der zeitgenössische Tanz gewinnt immer mehr das breite Publikum – eine gewagte These? Auf jeden Fall ist dem Zuschauer der freie zeitgenössische Tanz näher als die kodifizierte Kunstsprache des Balletts. Beispielhaft zu sehen jetzt bei der Münchner Tanzwerkstatt Europa (TWE) in „boom bodies“ der Österreicherin Doris Uhlich. Am Ende emphatischer Applaus in der Muffathalle.

Schon bei der TWE 2015 hatte uns ihr „more than naked“ überzeugt, dass alles an unserem nackten Körper tanzen kann, ob schwabbelnde Unterarmhaut, hüpfender Schenkelmuskel oder rhythmisch gezupfte Bauchdecke. Das Grundprinzip ist bei dem „boomenden body“ ähnlich: die acht TänzerInnen, diesmal nicht nackt, holen ganz einfache Bewegungen aus sich heraus: wiederholtes Pumpen des Oberkörpers, funkiges Wippen aus der Hüfte, Kreisen der waagerecht ausgestreckten Arme, Heben des Beckens in Rückenlage, ausholende Kraulschwimmgesten im Gehen, Trockenseitenschwimmen am Boden. Nichts Spektakuläres – jeder könnte da mitmachen. Aber Uhlich versteht es, dem Schlichtmaterial eine stringente Form zu geben – mit Aussage: Zu einem immer wieder variierten elektronischen Rhythmusstrom aus DJ Boris Kopeinigs Klangmaschine wimmeln die acht TänzerInnen in geschlossenen Pulks oder weit auseinander gestreut in den Raum: mal alle synchron bewegt, mal jeder sich anders biegend und ruckend – so, als würden US-Künstler Keith Harings labyrinthische Comic-Männchen-Bilder lebendig. Und die sämtliche Kraft- und Konditionsreserven anzapfende Dauerbewegung scheint Uhlichs Kommentar zum aktuellen Fitnessfanatismus.

Der Bulgare Ivo Dimchev, noch näher am ‚normalen Zuschauer’, macht diesen, ähnlich wie der intellektuelle ‚Konzept’-Franzose Jerôme Bel – gleich zu seinem Mitspieler. Allerdings ist Dimchev dabei ein schräg-verruchter Verführer. Sein Kostüm: ein „Cache-sexe“ aus Perlen, eine Organza-Stola und hohe Stöckel, in denen er – absichtlicher Kontrast zur Transgenderdiva – linkisch herumstakst. In einem früheren Leben sicher Marktschreier und Zauberkünstler gewesen, kriegt er hier junge Damen und Herren von der Tribüne dazu, an zwei rechts und links platzierten Laptops Kurzgedichte zu verfassen und ihm zu mailen, die er an seinem E-Klavier in derselben Sekunde zu Songs komponiert. Textverständlich? Melodieschön? Egal, man hat den Instanteffekt und Dimchevs Darstellung als Popqueen. Zusätzlich zu den Schreibpoeten sind Freiwillige gefragt für HipHop, für Fünf-Minuten-Küssen und gemimten Sexakt auf einer von ihm herangeschleppten Matratze. „Nein, keine Tanzprofis. Es soll nicht perfekt sein“, weist Dimchev Bewerber ab. Aber klar sind es hier vor allem Teilnehmer der TWE-Workshops, die sich performancehungrig in die Arena werfen – und ja auch mit echten Euros bezahlt werden.

Der blendend Englisch sprechende Bulgare liefert zu all dem eine nonchalante Moderation, in die er kleine spitze Bemerkungen zum zeitgenössischen Tanz einfließen lässt. Man kann ihn mutig nennen, weil er Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Es bleibt jedoch das ungute Gefühl, dass er seine Zufallsmitspieler benutzt. Dimchev ist, wenn auch mit Charisma, ein postmoderner Kunstvampir. Kein Wunder, Transsilvanien ist von Bulgarien gar nicht so weit weg.
 

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