„Die Wahlverwandtschaften“ von Gonzalo Galguera

„Die Wahlverwandtschaften“ von Gonzalo Galguera

Liebe als Experiment

Emotional und tragisch: „Die Wahlverwandtschaften“ am Theater Magdeburg

Ballettdirektor Gonzalo Galguera hat zu jenem Stück eine intensive Beziehung. In Tom Schillings Ballettadaption des Goethe-Romans in den 90er Jahren tanzte er an der Komischen Oper Berlin. Die berühmte Inszenierung war nun Ansporn für ihn.

Magdeburg, 11/10/2016

Magdeburgs Chefchoreograf und Ballettdirektor Gonzalo Galguera hat zum Goethe-Roman „Die Wahlverwandtschaften“ eine intensive Beziehung. In Tom Schillings Ballettadaption des Romans in den 90er Jahren tanzte Galguera an der Komischen Oper Berlin. Die von dieser berühmten Inszenierung, für die Schilling den Deutschen Tanzpreis erhielt, ausgehende Faszination war für Gonzalo Galguera Ansporn für ein Handlungsballett, in dem sich mit der Musik von Franz Schubert das Emotionale und Tragische der großartigen literarischen Vorlage von Goethe verbindet.

Gonzalo Galguera beschreibt ganz dicht am Roman und in linearer Abfolge der Szenen in der Sprache des Tanzes, durch Bewegungen, Berührungen, Emotionen, Schmerz, Freude und Trauer den Kosmos menschlicher Beziehungen. Dabei gelingt Galguera sehr überzeugend, das Spezifische des Goethe-Romans, seine Affinität zu den Naturwissenschaften in Tanz und Bewegung umzusetzen. In der Struktur des Romans und in den Figuren spiegelt sich Goethes Leidenschaft für Naturwissenschaften wider. Aus der Chemie stammt der Begriff Wahlverwandtschaft und er beschreibt das anziehende und abstoßende Verhalten innerhalb chemischer Verbindungen. Goethe überträgt dieses Phänomen auf menschliche Beziehungen in Form eines Experiments, das von der Liebe getragen, durch Emotionen, Irrungen und Wirrungen bestimmt wird.

Der Zuschauer, der sich mit der Kammermusik von Franz Schubert auf das intime Drama um das Ehepaar Charlotte und Eduard und der in ihr Leben eindringenden Freunde und Verwandte Otto und Ottilie, einlässt, kann sich dem Sog nicht entziehen, der von den fließenden, ruhig-sanften und zuweilen auch zärtlichen Bewegungen und Berührungen ausgeht. Jede Geste, jeder Blick und alle Facetten der Körpersprache machen transparent, was im Goethe-Text über die Verquerung der Gefühle, über die kreuzweise Liebe der vier Menschen und ihr Scheitern, über die Veränderung der Beziehungskonstellation durch das Eindringen von Otto und Ottilie in das wohlbehütete Leben von Eduard und Charlotte geschrieben ist.

Und Gonzalo Galguera geht noch weiter. Zu Beginn erlebt man nach den elektronischen Akkorden, Bässen und Percussion-Rhythmen Metamorphosen der Körper von acht Tänzerinnen und Tänzern, die sich gegenseitig anziehen und abstoßen, sich vereinigen und trennen. In diesen Bewegungen, in der Verschmelzung der Körper, verdeutlicht sich das Metaphysische der Wahlverwandtschaft. Diese Menschenleiber unterbrechen später wieder die reale Spielhandlung und formen sich zu immer neuen Körpergebilden. In einem leidenschaftlich getanzten Pas de quatre als Traumsequenz erlebt man die letzte Nacht der zwei Paare, die sich fortwährend in immer neuen Konstellationen finden. Eine emotional berührende Vereinigung paarweise und zu viert, aus der ein Kind entsteht. Hier zeigen Anastasia Gavrikenkova (Charlotte) und Adrian Roman Ventura (Eduard), Lou Beyne (Ottilie) und Leander Rebholz (Otto) tänzerisches Können von beeindruckender Eleganz und großer Emotionalität. Wie überhaupt sich die Besetzung der Paare als ein besonderer Glücksfall für diese Inszenierung erweist. Die Konzertstücke von Franz Schubert in ihrer Abfolge strukturieren die Bilderfolge auf der Bühne, den raschen Wechsel der Stimmungen.

Über weite Strecken hat Galguera das Ganze als Kammerspiel inszeniert. Diese Intimität der Szenenfolge wird durch einige Fest- und Volkszenen, bravourös von der Kompanie getanzt, aufgebrochen. Das (Liebes-)Experiment scheitert. Ottilie gibt sich die Schuld am Tod des kleinen Sohnes von Eduard und Charlotte und stirbt. Eduard kann mit dem Verlust von Ottilie und dem Sohn nicht weiterleben. Für Charlotte und Otto bleibt eine ungewisse Zukunft. Von außergewöhnlicher Ästhetik sind das Bühnenbild von Juan Leòn mit den Videosequenzen und Projektionen (Wasserreflexe und Videoskizzen von chemischen Prozessen) von Jacopo Castellano und den wunderschönen Kostümen von Darko Petrovic. Ein Abend voller Emotionen, mit frenetischem Applaus vom Publikum gefeiert.
 

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