„Paradisus?“ von Emanuele Soavi in company & Analogtheater

„Paradisus?“ von Emanuele Soavi in company & Analogtheater

Zwei Tage Tanztausch im Leipziger LOFFT

Das Tauschfestival mit Beiträgen aus Amsterdam, Köln und Leipzig

Vier Gastspiele an zwei Tagen des insgesamt viertägigen Festivals vermitteln mitunter den Eindruck, dass der Begriff ‚Tanz’ in seiner Bedeutung austauschbar geworden ist.

Leipzig, 29/10/2016

Vier Gastspiele an zwei Tagen des insgesamt viertägigen Festivals vermitteln mitunter den Eindruck, dass der Begriff ‚Tanz’ in seiner Bedeutung austauschbar geworden ist. ‚Choreografie’ ist sowieso alles. Immerhin wird für die Eröffnungsproduktion „Fight or Flight“ des Wehrtheaters aus Köln zunächst Andrea Bleikamp als Regisseurin genannt, André Jolles aber als Akteur wird als Tänzer und Choreograf aufgeführt. Das Stück soll ganz aktuell sein, daher läuft die Tagesschau, und dazu der Versuch eines Menschen in fast nackter Kreatürlichkeit sich dazu zu verhalten, zu fliehen oder auszuhalten, zu kämpfen oder aufzugeben. In der ‚TV-Kiste’ die Nachrichten des Tages, davor der Mensch in der Kiste, im Koffer, der Kampf mit der Kiste und die bildhafte Erfahrung, dass eben jeder seine Kiste angesichts dessen, was da so allabendlich aus der Kiste kommt, zu tragen habe. Da gelingen dem Darsteller durchaus existenzielle, berührende Momente, Kafka lässt grüßen, Daniil Charms auch ein wenig. Karl Ludwig Hübsch grundiert diesen Überlebenskampf, dessen Aussichtslosigkeit nicht zu übersehen ist, und daher vielleicht am Ende doch so etwas wie ein Totentanz war, mit bedrohlichen Klangflächen seiner Komposition für Tuba und elektronische Assoziationen. Allein der Hinweis auf das Wetter von morgen, mit dem jede Tagesschau verlässlich zu Ende geht, bringt einen Hauch von Erlösung.

Nach der Pause mit ‚Kölsch’ im Magen geradewegs ins Paradies. Oder doch nicht? „Paradisus?“, in einer Koproduktion der Emanuele Soave INcompany mit dem Analogtheater, wiederum aus Köln. Der liebe Gott schuftet. Was ihm die Bibel auf ihren ersten Seiten in sieben Tagen zumutet, das muss jetzt in einer Stunde zu schaffen sein. Also wird Erde auf die Bühne geschaufelt. Da lässt Pina Bauch mit Erinnerungen an ihr legendäres „Frühlingsopfer“ grüßen. Wasser spielt auch immer wieder eine große Rolle, sei es, dass ein Akteur den Kopf in den Eimer steckt, sei es, dass die reinigende oder sogar lebensnotwendige Kraft des Wassers bedeutsam wird. In den Sand steckt hier keiner seinen Kopf, und zunächst, wenn da so ein seltsames Wesen im feuchten Erdreich sich bewegt mit zwei Köpfen, dann mischt sich der biblische Mythos von der Entstehung der Menschheit mit dem der griechischen Antike, nach dem wir alle einmal Doppelwesen waren, die von den Göttern, aus Angst ihnen gefährlich zu werden, einfach geteilt wurden und bis heute auf der Suche nach unserer anderen Hälfte sind. Also hier jetzt Adam und Adam, die Tänzer Federico Casadei und Emanuele Soavi. Weil ja bekanntlich Eva aus Adams Rippe geschaffen wurde, lässt der Einfachheit halber Daniel Schüssler als Performer die Hose runter, ganz ohne Feigenblatt, klemmt in einem genitalen Trick weg, was ihn männlich macht, wird so zur Eva, muss aber fortan aus Gründen biologisch bedingter Dramaturgie hinken, Satan, dein Name sei Weib - was folgt, ist bekannt. Drei Darsteller, drei mal Adam, drei mal Eva, drei Satansbraten auch und die Tänzer zudem als sich windende Schlangen. Äpfel in Massen. Das Paradies ist in uns. Die Hölle auch. Da wollen wir hin, davor sind wir auf der Flucht, die kann nicht gelingen, denn die Tür, durch die wir fliehen oder eintreten könnten, wechselt ihren Platz. Und Licht oder Dunkelheit, von Max Rux bestens an der Technik betreut, von den Protagonisten mit Spiegeln verstärkt und gelenkt, geben so geheimnisvolle wie erhellende Einblicke in diese Landschaften menschlicher Seelen, paradiesisch und höllisch zugleich. Daniel Schüssler als Performer mischt mit und mischt auf. Als warnender Aufklärer zitiert er Sartre, dass die Hölle die anderen sind, um uns aber auch flugs zu belehren, dass wir nicht das Paradies für diese anderen sind. Aber, und das ist die Kraft des Tanzes, die Sehnsucht, der Hölle zu entkommen, in paradiesischen Gefilden anzukommen, stirbt zuletzt, wie die Hoffnung. Und diese bekommt starke Momente in den bestens getanzten Choreografien zu Musik von Richard Wagner, das Tristan-Vorspiel oder stärker noch zum dritten der fünf Lieder nach Gedichten von Mathilde Wesendonck, „Im Treibhaus“ mit dem Thema der Heimatlosigkeit für Mensch und Natur, „Unsre Heimat ist nicht hier.“ Aber auch die Heiterkeit kommt nicht zu kurz, überhaupt, vermischen sich Poesie und Humor, dafür steht das grandiose, tänzerische Intermezzo von Federico Casadei und Emanule Soavi zu Musik von Händel, Tanzen hilft, und dereinst im Himmel, das wusste schon der Heilige Augustin, da tanzen die Engel ohnehin, was das Zeug hält.

Phase-Zero Productions aus Leipzig, Konzept und Choreografie Morgan Reid und Tine Schmidt, stellt in einem gruppendynamischen Lehrstück die Fragen nach persönlicher Zugehörigkeit, nach dem eigenen Platz und zeigt deutlich Momente der Ignoranz, der Ablehnung und Unsicherheit dem oder der Anderen gegenüber, wenn sie sich erlauben, Nähe oder Distanz zu bestimmen. Der Konflikt droht zu eskalieren, wenn in das gerade mühsam zusammenfügte Gruppengebilde eine Fremde hereintanzt und auch noch den Anspruch hat, ich tanze hier mit. In vier Phasen werden diese Prozesse bei bemerkenswert hohem körperlichem Einsatz der drei Tänzerinnen und zwei Tänzer verhandelt und vom Publikum im ausverkauften Saal des LOFFT mit starkem Beifall belohnt.

Es beginnt wie ein Satyrspiel, wenn Fernando Belfiore aus Amsterdam in seinem Solo „AL13FB<3“ bei wummerndem Technosound sich an das Publikum heran- und es mit augenzwinkerndem Charme anmacht. Das wird die ganz große Show, so könnte man denken, es kommt anders, und man folgt diesem am Ende so wunderbar gelungenen performativen und tänzerischen Exkurs über Gott und die Welt, bei dem sich Belfiore auch noch als akrobatischer Sprachkünstler im Umgang mit Worten, Silben, flüsternd, schreiend oder singend in höchsten Lagen erweist, gerne. Er wickelt sich ein in silberne Folie, das Publikum hat er längst eingewickelt. Es folgt ihm gerne auf seinen Ausflügen in die Gefilde ferner Welten oder ganz alltäglicher Vergeblichkeiten. Es gelingt ihm sogar, das Publikum zu verzaubern durch von ihm initiierten Momente zärtlicher, anrührender Poesie. Besonders, wenn er aus Fetzen der Silberfolie und reflektierendem Licht einen Miniregenbogen zaubert und dabei aus dem praktischen Verpackungsmaterial eine Taube formt. Und schon grünt der Ölzweig in unserer Fantasie.

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