„Orakel“ von Joseph Hernandez

„Orakel“ von Joseph Hernandez

Der geschäftige Tanz um das müde Orakel

„Orakel“ von Joseph Hernandez als Tanztheater auf Semper Zwei

Wer möchte nicht wissen, was so alles noch im Leben auf uns zu kommt. In alten Zeiten befragte man daher ein Orakel. Heute ist das Orakel gebrechlich geworden, ist überlastet und fiebrig.

Dresden, 27/11/2016

Wer möchte nicht wissen, was so alles noch im Leben auf uns zu kommt. In alten Zeiten befragte man daher ein Orakel, z. B. das Orakel von Delphi, einst sogar zum Mittelpunkt der antiken Welt erhoben. Und was das Orakel prophezeite, ging in Erfüllung, selbst wenn die Empfänger der Botschaften wie in der Geschichte von Ödipus meinten, sie könnten dem Unheil entgehen, sie konnten es nicht. Ödipus tötet den Vater und heiratet die Mutter, das ist der Stoff, aus dem die Tragödien gemacht sind, von der Antike bis in die Gegenwart. Wann genau das delphische Orakel verstummte, ist nicht bekannt, sicher ist aber, die Nachfrage hat sich auf keinen Fall erledigt. Im Gegenteil, der Orakelmarkt hat Hochkonjunktur und bringt den Oraklern nicht wenig ein. So ist inzwischen daraus eine gut florierende Agentur geworden mit weltweitem Netzwerk, mit schicken Büros und geschäftigen Mitarbeitern in schicken Klamotten.

So jedenfalls sieht das Orakelbüro im Tanztheater „Orakel“ von Joseph Hernandez in der Spielstätte Semper Zwei aus, in dem uns Johannes Schmidt als Erzähler begrüßt und auch gleich mitteilt, dass das Orakel selbst gebrechlich geworden ist, überlastet und fiebrig: Burn-out. Aber das kennt man ja, es gibt eigentlich nichts zu sagen, es gibt keine Antworten, keine Lösungen der Probleme, die uns bedrängen, aber die Antwortgeber, die Problemlöser, die Bürokraten der Weltrettungsagenturen, verbreiten eine Rettungsansage nach der anderen. Und so herrscht im blitzsauberen Orakelbüro auf Semper Zwei absurde Geschäftigkeit, tanzende Bürokraten im Aktentausch und Raquél Martínez thront als Sekretärin und eigentliche Diva des Büros und hackt dazu auf eine nostalgische Schreibmaschine. Gleich, so meint man, müsste auch noch Leroy Andersons Konzert für Schreibmaschine und Orchester erklingen, aber selbst in einem Orakelbüro können nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen. Dafür hat der Choreograf Joseph Hernandez gemeinsam mit Yannick Cosso und Jordan Pellagès, die auch für Raum, Licht und Konzept mitverantwortlich sind, leicht angejazzten, swingenden Sound gewählt, kammermusikalisch dezent, tänzerisch und auch mal eher elegisch fürs schmachtende Cello von Gabriel Fauré.

Und dann kommt Vera. Caroline Beach tanzt und spielt die junge Frau, sie wurde ins Orakelbüro bestellt und hier weiß davon offensichtlich niemand. Und dann spricht das Orakel doch zu ihr, das klingt ganz schön gestelzt, wenn da vom Walzertakt der Sterne die Rede ist, von der Zeit, die wie ein Rasiermesser durch die Existenz schneidet. Aber klar, Vera, du musst dich entscheiden, sagt das Orakel, Stellung musst du auch beziehen, sagt das Orakel, wozu aber bitte, das fragt sich der Zuschauer irgendwann bestimmt auch. Aber da wird der Zeigefinger noch höher erhoben: Du musst dich einbringen, Fragen zu stellen, reicht nicht. Also gut, der Tanz geht weiter, das ist bei so wunderbaren Protagonisten wie Courtney Richardson als Managerin, Fabien Voranger als Verkäufer, Francesco Pio Ricci als Buchhalter, Skyler Maxey-Wert und Chiara Scarrone als Assistent und Praktikantin auch recht ansehnlich, viel mehr aber auch nicht, was nicht am Können der Tänzer liegt. So stellen sie immerhin, munter und auch ganz witzig, eine ironisch, zeitgenössische Sicht auf jene Priesterinnen und Priester dar, die in der Antike den Fragern deuten mussten, was die von bewusstseinsverändernden Schwefeldämpfen umnebelte Pythia in der delphischen Höhle in unverständlichen Worten orakelte.

Aidan Gibson tanzt das erschöpfte, noch immer leicht benebelte Orakel in elegischer Manier der Traditionen des Ausdruckstanzes in weißem, fließendem Gewand, sogar in einem kurzen Pas de deux mit dem Erzähler, der auch in gewisser Weise als Spielleiter fungiert. Vera ist am Ende angekommen und angenommen, sie ist ihr eigenes Orakel, nimmt ihr Schicksal in die Hand wie alle anderen die Aktenordner. Und was im Krimi der Gärtner ist, das ist hier Casey Ouzounis als besonderer Bote, der grinsend in kurzen Hosen das bewusste Paket liefert, darin ist für Vera der weiße Stoff, aus dem die Orakel gemacht sind.

Nach gut 70 Minuten geht auf Semper Zwei kein Vorhang zu, ist auch nicht nötig, es sind ja auch keine Fragen offen. Man muss kein Orakel befragen, dass Joseph Hernandez choreografisches Talent hat, das ist zu sehen, dass er auf dem Weg ist auch, sollte er ihn weiter gehen, dann wären ihm aber bessere Storys zu wünschen, denn immerhin, er nennt seine erste Arbeit in Dresden für die junge Szene auf Semper Zwei ja schon mal vielversprechend Tanztheater.
 

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