„DAS FREMDE/ALIENIdentität“ von Johanna Roggan/the guts company
„DAS FREMDE/ALIENIdentität“ von Johanna Roggan/the guts company

Das Fremde hat kein Gesicht

the guts company beleuchten auf unbequeme Weise in Dresden „Das Fremde“

Es ist ein aktuelles Thema, das Näherrücken des furchteinflößenden Unbekannten. The guts company reduzieren im Societaetstheater mit „DAS FREMDE/ALIENIdentität“ die Problematik auf wenige grundlegende Gesten.

Dresden, 27/11/2016

Es ist zweifelsfrei ein aktuell beliebtes Thema in Kunst und Kultur, dieses gefühlte Näherrücken des furchteinflößenden Unbekannten. Es scheint plötzlich überall zu sein, in allen Köpfen. The guts company reduzieren im Societaetstheater Dresden mit „DAS FREMDE/ALIENIdentität“ die Problematik auf wenige grundlegende Gesten.

Die besten Ideen sind immer die simplen. In dieser Tanztheaterproduktion ist es zu allererst die Bühne. Weiß. Sonst nichts. Aus dem immer stärker aufflackernden, kalten Licht schält sich eine Tänzerin, die den Kopf eines Braunbären als Maske trägt. Alles beginnt beim Tier, um nicht zu sagen, beim Animalischen. Schließlich sitzt ja die Kultur des Menschen viel weiter ‚oben’ als Sahnehäubchen der Evolution.

Der Kopf eines Eisbären liegt in der Ecke, der Rest vom Braunbären kommt auch gleich. Drin steckt Matthias Wagner als Darsteller. Der Kontrast ist deutlich. Und bekannt ist, dass weiße Tiere nur in den entsprechenden, extremen Umgebungen überleben können. Auf dem Rest dieses Planeten, der den größten Teil ausmacht, sind sie leichte Beute. Bei aller Lobhudelei erfolgreicher Individualisierungsbestrebungen gilt eben doch noch immer auch für den Menschen: Man sollte nicht zu anders sein. Oder?

Und gleichzeitig bestimmt die Maskerade einen grundlegenden Gestus, der auch einen Teil der Burka-Diskussion ausmacht. Ein verborgenes Gesicht gilt in jedem Kulturkreis als Entfremdung. Wir identifizieren unser Gegenüber mittels des Gesichts. Es ist unser aller kommunikatives Zentrum. Fällt es weg, sind wir erledigt. In dem Moment, in dem Nastia Ivanova den Bärenkopf absetzt, wickelt sich Rosabel Huguet ein weißes Tuch um den Kopf. Die Barriere bleibt. Und die Maskerade geht immer weiter. Bis die drei Performer schließlich fast wie Schutz suchend an der Rückwand der Bühne ihre Masken tauschen und schließlich ein verblüffendes gemeinsames Bild finden. Am Boden sitzend ziehen sie einen Fuß an den Körper und legen über das nach oben ragende Knie ein größeres Stück Stoff, auf das die Öffnung einer Burka gezeichnet ist.

Dass auch in dieser Arbeit Sprache nicht außen vor gelassen wird, dürfte nicht überraschen. Aus bruchstückhaften Geräuschen formen sich irgendwann, sehr langsam und mühevoll Wörter und längere Sinneinheiten. Matthias Wagner spricht davon, „endlich wieder einsam“ zu sein, sodass „keener stört“. Das ist alles weder neu noch übermäßig verkopft. Es ist nicht mal komplex. Aber hier ist es gut gemacht. Und es ist weniger ein Sprechen über das Fremde, als das vielmehr das Fremde selbst spricht. Alles bleibt unkommentiert, weil es unkommentiert bleiben kann. Gestützt wird das Ganze durch einen kantigen, treibenden Klangteppich des in Berlin lebenden Briten Simon Goff, der seinen elektronischen Sounds live ein äußerst passendes Geigenspiel einfügt.

Ein geordneter Paartanz, sauber, geregelt und also vertraut, löst sich langsam in seine Bestandteile auf, die Tänzerinnen entfernen sich voneinander, das System zerfällt wieder. Am Ende liegt eine Tänzerin reglos am Boden, der Braunbär sitzt mit bedrohlich rot leuchtenden Augen gleichsam unbewegt in der Ecke. Ein einziger, langer Ton. Black. Und kaum einer hat die kleine Vase am Rand der Bühne bemerkt, in der tote, schwarze Blumen stecken.

Das Premierenpublikum hat lange gebraucht, bis es sich zum Applaus durchringen konnte. Liegt es an der Abwesenheit einer gewissen Komplexität? Diese Arbeit kommt auf den ersten Blick simpel daher. Ist es aber nicht. Nur liefert sie keine einzige Antwort, absichtlich, sondern zeigt stattdessen mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Zuschauer. Und das könnte manchen durchaus vor den Kopf stoßen.
 

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