„Die Kinder des Olymp“ von Fernando Melo 

„Die Kinder des Olymp“ von Fernando Melo 

Viel Optik, wenig Ausdruck

„Die Kinder des Olymp“ von Fernando Melo am Theater Luzern

Nicht nur die sensiblen Charakterstudien, auch der Nachruf auf die Pariser Theaterwelt des 19. Jahrhunderts machen den Film Marcel Carnés bis heute zu einem Klassiker. Nun hat Fernando Melo diesen für die Tanzbühne adaptiert.

Luzern, 05/12/2016

„Les enfants du paradis“ von Marcel Carné, entstanden in den letzten Kriegsjahren, als erster Film nach dem Frieden 1945 in den französischen Kinos gezeigt, ist ein monumentales Werk. Nicht nur die sensiblen Charakterstudien, auch der Nachruf auf die Pariser Theaterwelt des 19. Jahrhunderts machen diesen Film bis heute zu einem Klassiker. Den hat Fernando Melo nun für die Tanzbühne adaptiert.

Vier Männer lieben die schöne Garance - ein Dieb, ein Schauspieler, ein Graf und Baptiste, ein Pantomime. Sie liebt den Pantomimen, geht aber nach einer Affäre mit dem Dieb und dem Schauspieler schließlich mit dem Grafen fort. Ein guter Ausgangspunkt für eine tänzerische Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Sehnsüchten und Träumen. Leider bleibt Fernando Melo in seiner Version zu nah am Film, setzt sich damit einer Vielzahl an Vergleichsmöglichkeiten aus und vernachlässigt das eigenständige Potential des Tanzes.

Choreografisch ist der Abend dominiert von einzelnen Szenenbildern, die in schönen Pas de deux in Bewegung kommen und an Intensität gewinnen. In diesen Dialogen klingen Gefühle und Entwicklungslinien an, die dem Rest des Abends leider fehlen. Denn angewiesen auf kleinste, aber umso aussagekräftigere Gesten sind Melos Bilder. Und dafür bräuchte es Darsteller der Extraklasse. Das Luzerner Ensemble ist damit sichtlich überfordert, zeigt in den (wenigen) Tanzszenen jedoch sein ganzes Können.

So ist der Höhepunkt des Abends sicherlich die Theateraufführung mit Pierrot, Arlequin und Colombine, die auf den nun als Leinwand fungierenden Spiegel übertragen wird. Leicht verzerrt kommt das Bild der am Boden liegenden und alle Handlungen in der Horizontale ausführenden Tänzer auf der Vertikalen an und erhält damit eine Aura des Fantastischen, die ins Träumen kommen lässt. Die sichtbaren ‚Theatereffekte’ von Flügen bis zur alt bekannten Schmetterlingsjagd sorgen für fröhliches Gelächter und Zwischenapplaus.

Beeindruckend ist neben der Musik mit Werken von Peteris Vasks, Claude Debussy und Frédéric Chopin, die, live gespielt von Mitgliedern des Luzerner Sinfonieorchesters unter der Leitung von Rolando Garza Radríguez, viel von der Atmosphäre des Stücks kreiert und die Handlung vorantreibt, das Bühnenbild von Patrick Kinmonth.

Der ‚Olymp’, das war der oberste Rang im Theater, der, in dem die billigen Plätze lagen, der, der über den Erfolg oder Misserfolg eines Stücks und Künstlerkarrieren entschied. Von hier oben unter dem Dach beobachtete man fast aus der Vogelperspektive das Geschehen auf der Bühne, das so viele Parallelen zum alltäglichen Leben aufweist – so zumindest in den häufigen Perspektivwechseln von Carnés Film. Und da ist Kinmonth wirklich ein Coup gelungen: Ein großer Spiegel holt die Zuschauer auf die Bühne. Ein großer Spiegel, der auch immer wieder Traum und Wirklichkeit, Erinnerung und Gegenwart trennt und zusammenführt. Der Rückblicke ermöglicht, Ereignisse verschwimmen lässt oder Konturen hervorhebt. Wie einzelne Blenden eröffnen schwarze Bahnen den Blick auf durch Raum und Zeit getrennte Ereignisse, die sich doch alle in kürzester Zeit auf der Luzerner Bühne abspielen. Denn mit einer Dauer von einer Stunde ist Melos Version angewiesen auf szenische Konzentration.
 

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