Reut Shemesh (re.) erhielt den Kölner Tanztheaterpreis 2016 von den Vertretern der TÜV Rheinland Stiftung.
Reut Shemesh (re.) erhielt den Kölner Tanztheaterpreis 2016 von den Vertretern der TÜV Rheinland Stiftung.

Ein Festival jagt das nächste

Pick bloggt über so manches Festival und ist zwischendurch noch beim Tanzpreis in Köln

Reut Shemesh wurde dieses Jahr mit dem Kölner Theaterpreis in der Kategorie Tanz ausgezeichnet. Und noch eine Choreografin war unter den Preisträgern.

Köln, 20/12/2016

Zuerst die schöne traditionsreiche Übergabe der Theaterpreise Köln, die wie so vieles in Köln unterstützt und ausgerichtet wird von der Sparkassen-Stiftung Köln und in deren Gebäude am Mediapark stattfand – dort wo auch das Tanzarchiv seine Räume hat und das NRW-Sekretariat für Tanz. Alle Preise sind mit durchschnittlich fünftausend Euro gesponsert, der für den Tanz von der TÜV Rheinland Stiftung. Und dieser ging in diesem Jahr an die in Köln arbeitende Tänzerin und Choreografin Reut Shemesh und ihre Produktion „LEVIAH“. Dr. Rita Kramp, die auch in der Jury saß, ließ uns in ihrer Laudatio wissen, was wir verpasst haben, wenn wir diese Premiere nicht gesehen haben. Ich war einer der vielen, die bedauert haben, nicht dagewesen zu sein. Aber im Februar wird es wohl wieder eine Gelegenheit geben.

Prof. Bögner hatte merklich Vergnügen daran noch eine Tänzerin/Choreografin, nämlich Sylvana Seddig, mit einem der sieben Theaterpreise auszuzeichnen, dem Kölner Darstellerpreis. Auch dieses Stück „Tanzsylvanien“ habe ich nicht gesehen, aber man darf den verschiedenen Jurymitgliedern wohl trauen, denn für jede Kategorie gibt es eine eigene Auswahl, und sie schauen alle Nominierten an und ringen dann in Sitzungen um ein Ergebnis, also „keine Kölsche Klüngel“.

Einen Abend vorher gab es in der Tanzfaktur eine Wiederaufnahme von Rafaele Giovanola mit dem Titel „Revisiting Wonderland“, die auch leicht der Kategorie Performance zuzuordnen wäre. Aber das wäre eine grundsätzliche Diskussion um die Namensgeber der Ableger des Tanzes. Wie zum Beispiel beim Begriff „Tanztheater“, der Pina Bausch als Erfinderin angerechnet wird, obwohl man in ihren späteren Stücken viel Theater und wenig Tanz sehen, dafür aber Pizza backen lernen konnte. In der ersten Reihe wurden die Abonnenten gleich auch noch mit Mehl bestäubt. Ganz so heftig war es bei Rafaele nicht. Eigentlich war der Verantwortliche für die Szenenbilder hier die Hauptpartie. Er macht dieses Stück mit Filmfetzen zu einem Ereignis und das live an einem PC. Neben vorgefertigten Teilen zeichnete er mit lockerer Hand die Umrisse der Solotänzerin Laure Dupont, die nur wenig zu tanzen hat, um sie dann zu verfremden oder ein faszinierendes Porträt von ihr zu erstellen, das durch Schattierungen fast dreidimensional wurde. Ich hätte es gern mit nach Hause genommen.

Zum ersten Mal fand ich den Sound von Jörg Ritzenhoff aggressiv, denn von Musik kann man nicht sprechen, sondern nur von unangenehmen Geräuschen, wenn nicht gerade ein Kuckuck – zwar nicht originell aber fast angenehm – ertönte. Dieser Abend war die Vorpremiere zum Festival „Tanztausch“, das bereits zum fünften Mal den Austausch von Produktionen aus dem In- und Ausland zum Ziel hat und bei Mechthild Tellmann und Alexandra Schmidt in guten Händen ist. Leider hatten sie für diese Eröffnung keine Rohdiamanten gefunden, es sei denn, man hätte den zweiten Teil des Abends um die Hälfte gekürzt. Die beiden gut bestückten Damen, die einer interessanten beweglichen Plastik aus schwarz-glänzendem Tuch entstiegen, wollten uns – oder besser der Männerwelt – in ihren fleischfarbenen Trikots mit allen möglichen Posen des Bodybuildings und mit groß geschminkten Augen, mit denen sie den Herren in dieselben blickten, unter dem Titel „Wonderwomen“ (Melanie Lane) etwas von der heutigen Rolle der Frau verklickern. Bei mir haben sie aber das Gegenteil erreicht.

Der erste Teil war nur halb so lang, aber leider ohne die Würze der Kürze. Nein, mit ungekonnter Folklore kann man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen. Das ging noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als sowohl die Choreografie von Fokines „Scheherazade“ als auch die Musik von Rimsky-Korsakov mit der Fantasie des Nahen Ostens, mit Harem und Pumphosen das Publikum anmachten. Das wollte Lisa Freudenthal mit „Woman Hood“ sicher nicht, aber wenn ihre Protagonisten entweder ein Instrument hätten spielen, singen oder wenigstens tanzen könnten, (alles versuchen sie), hätte ich mich weniger gelangweilt.

Bleibt mir noch über das Festival „Borderlands“ zu berichten, das mit einem Gastspiel aus Norwegen begann. Mit einem Stück, für das man sogar eine Tanzpartitur mitbekam. Ein sehr poetisch anmutendes Traktat, das, wie meistens die Dinge im Programmheft, nichts oder nur ein wenig mit dem zu tun hat, was auf der Bühne passiert. So auch bei „Nordic Score: Escape and Transformation“. Unter der künstlerischen Leitung von Janne-Camilla Lyster machen fünf Solistinnen ein Solo zur gleichen Zeit, ohne miteinander etwas zu tun zu haben. Aber sie kommen sich auch nicht in die Quere, das ist ja auch eine Kunst. Das Ganze hat mich sehr an Merce Cunningham erinnert, der mit solchen Experimenten schließlich eine Weltkarriere gemacht hat.

Dann gab es noch „What we could have been“ von und vor allem mit Dwayne Hollyday. Er steht im dunklen Anzug zu Anfang einer schwarzen Frau in afrikanischem Kostüm gegenüber. Des Kostüms entledigt sich diese schöne Frau aber schon bald. Sie ist nicht nur besonders attraktiv, sondern wenn sie anfängt zu singen, bleibt dem Zuhörer die Spucke weg. Dwayne tanzt jetzt ohne Anzug ein Solo, das nichts zu wünschen übriglässt. Ich bin überrascht, was dieser Mann an zeitgenössischer Technik zu bieten hat, mal abgesehen von seiner Ausstrahlung, die hinter der Stimmakrobatin Nely Daya kaum zurückbleibt. Und es ist erstaunlich, wie er es schafft, dass sie ihn im wahrsten Sinne des Wortes betritt, so wie später drei kleine Asiatinnen – ich nenne sie mal Tanzstatistinnen. Sie haben keine Chance, wenn sie sich gegenseitig und – mit sichtlich mehr Spaß – den Choreografen erklimmen. Auf den guten Gitarristen Daniel Bucksteeg nehmen sie da keine Rücksicht. I didn‘t get the message Dwayne, but I liked it – wenn das nichts ist?

Ein echter Höhepunkt des Festivals in der Tanzfaktur war das Gastspiel des zeitgenössischen Studiengangs der Hochschule der Künste in Zürich unter Leitung von Gianni Malfer. Natürlich sitze ich in einer solchen Leistungsschau immer mit dem Auge eines Ballettchefs, mit dem Hintergedanken, ob da jemand tanzt, den ich engagieren würde. Ja, ich würde, und zwar mehrere! Darüber hinaus zeigt dieser Studiengang, dass die Absolventen nicht nur technisch gut vorbereitet sind, sondern auch, und das ist sehr wichtig, dass sie künstlerisch arbeiten können. Das zeigen sie in kleinen eigenen Arbeiten. Es gibt in der BRD Studiengänge, die nicht diese Qualität haben, einer davon residiert in Köln und glänzte durch Abwesenheit.

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