„Concerto Grosso Nr. 1“ von Remus Şucheană. Tanz: Ensemble.

„Concerto Grosso Nr. 1“ von Remus Şucheană. Tanz: Ensemble.

Von Außenseitern und Einzelgängern

b.30 in Düsseldorf

Das neue Programm des Ballett am Rhein bietet lange, vielfältige, aber leider allzu harmlose, ungenaue Blicke auf das aktuelle Thema Einsamkeit als Außenseiter oder Einzelgänger.

Düsseldorf, 15/01/2017

Irgendwie wirkt es kurios: Kaum hat Martin Schläpfer seinen langjährigen Tänzer und mehrjährigen Stellvertreter in der Direktion, Remus Şucheană, zum Direktor des Ballett am Rhein ernannt, um sich selbst ganz auf die künstlerischen Belange seiner Truppe und als mittlerweile weltberühmter Choreograf konzentrieren zu können, da beginnt der Rumäne zu choreografieren. Nur im Büro zu arbeiten könne er sich nicht vorstellen, gibt er unumwunden zu. Zu nah sind dem (vom Zuschauer sehr vermissten) sprunggewaltigen Urgetüm des Tanzes Bühnenarbeit und seine tanzenden Kollegen noch, um sich ganz von diesem Alltag verabschieden zu wollen. So nimmt es nicht Wunder, dass er in „Concerto Grosso No. 1“ auf Alfred Schnittkes Musik seiner praktischen Laufbahn sehr nah bleibt. Denn die vorzügliche Eignung der Musik des Russen hat er ja vielfach - förmlich ‚am eigenen Leib’ - erfahren; wie sich große Spielflächen ästhetisch ansprechend und mathematisch exakt strukturieren lassen bei seinen Auftritten etwa in Balanchine- oder van Manen-Balletten erlebt. Tanztechnisch greift er hoch: Es gehe ihm darum, sagt er im Interview fürs Programmheft von b.30, die „Klassik auseinander zu nehmen und vielleicht auch das Rohe, Unverstellte der Bewegung wiederzufinden.“ Das klingt ehrlich, authentisch. Allerdings: Gelungen ist es ihm nicht.

Der Zuschauer sieht eher bieder wirkenden Modern Dance mit schwingenden Glockenröcken in Schläppchen auf Halbspitze. Allzu brav gestaltet Şucheană auch das Thema des Abends „Einsamkeit - Außenseiter und Einzelgänger“. Da nabelt sich erst ein kreuzbraves Töchterchen in hellblau (Ann-Kathrin Adam) verschämt von den Eltern ab, dann erkennt eine Verliebte in viel zu eleganter roter Robe (Yuko Kato), dass sie mehr Freiheit braucht als ihr Macho-Lover ihr gewährt. Als schließlich die selbstbewusst Kreative (Marlúcia do Amaral) im knappen Kleidchen (aus groß-geblümten Polsterstoff - oh Gott!!) ‚ihr Ding’ durchzieht von ruckenden Schultern bis in die zitternd zappelnden Fingerspitzen, wundert sie sich nur kurz, dass die anderen Mädels mit ihr nichts zu tun haben wollen - und geht ihres Weges. Nein, da war nichts „Rohes“, das sich zu einem hochkarätigen Edelstein für heutige Leute und Befindlichkeiten schleifen ließe.

Ganz anders danach Marco Goeckes „Lonesome George“, als Auftragswerk des Ballett am Rhein 2012 in Duisburg uraufgeführt und nun auch in Düsseldorf auf dem Programm. Es ist eine glanzvoll augenzwinkernde Miniatur als Hommage nach dem Tod von „Lonesome George“, des vermeintlich letzten, mindestens 100-jährigen Exemplars der weltweit ältesten Riesenschildkröte.

Neben Neulingen und Stars der zeitgenössischen und historischen Ballettchoreografie lädt Martin Schläpfer auch regelmäßig Experimentierende ein, diesmal die europaweit erfahrene Slowakin Natalia Horecna. Ihr aktuelles politisch-gesellschaftliches Engagement kleidet die ehemalige Neumeier-Solistin gern in Parabeln. In der Uraufführung von „Wounded Angel“ treffen Volkstheater und Mythos aufeinander. Ein Engel mit gebrochenem Flügel (Yuko Kato) und eine mitfühlende Herzdame (Camille Andriot) versuchen „The Love“ (Marcos Menha) zu retten. Ego (Rubén Cabaleiro Campo) und Herz widerstreiten mit ihren Kriegern. „The Soul's Couple“ (Doris Becker und Friedrich Pohl) stiften Frieden. So ganz viel Sinn ergibt die letzte Szene aber nicht: Die Liebe verkriecht sich in den Rauchschwaden hinter der steilen, weißen Himmelsleiter, Engel und Herz klimmen mühsam die hohen Stufen hinauf.

So schön ein Handlungsballett in der Nähe von Ödön von Horvath sein kann (siehe John Neumeiers „Liliom“ und Xin Peng Wangs „Geschichten aus dem Wiener Wald“) - hier zieht sich alles zu sehr und zu nebulös in die Länge. Musikalisch fasziniert - bei aller Kompetenz und Konzentration der Düsseldorfer Symphoniker unter Jean-Michaël Lavoie an diesem Abend - vor allem das Straßenmusikanten-Duo Timba Harris (Geige) und Gyan Riley (Gitarre). b.30 bietet ein langes, vielfältiges, aber leider allzu harmloses, ungenaues Spektrum zu dem aktuellen Thema Einsamkeit als Außenseiter oder Einzelgänger.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern