Das Bundesjugendballett wagt mit „Gipfeltreffen - Reformation“ einen Versuch

Das Bundesjugendballett wagt mit „Gipfeltreffen - Reformation“ einen Versuch

Standing Ovations

Pick bloggt über die Gastspielreise des Bundesjugendballetts und -orchesters

Nach einer ausverkauften Premiere in Hamburg hatte das Bundesjugendballett den Auftakt seiner Gastspielreise in Essen. Voller Hingabe widmeten sie sich in einem choreografierten Konzert der Reformation Luthers.

Essen, 16/01/2017

Natürlich hatte die Premiere in der ausverkauften Hamburger Staatsoper stattgefunden, nach einer Vorpremiere in Lübeck. Die folgende Tournee begann in Essen und das Publikum wollte eigentlich nicht aufhören zu applaudieren, aber das neunzig Mitglieder umfassende Orchester war so damit beschäftigt sich zu umarmen und die Tänzer in der weitläufigen Philharmonie wohl schon außer Reichweite, nachdem sie noch eine Zugabe hatten, dass sie das Klatsch- und Pfeifkonzert nicht mehr hören konnten.

Begonnen hatte der Abend mit einer Kostprobe von Mendelsohns 5. Sinfonie, in der der sympathische Chefdirigent des Jugend-Orchesters Alexander Shelley mithilfe des gesamten Klangkörpers einzelne Themen beschrieb. Diese „Reformations-Sinfonie“ steht in Verbindung zu Martin Luther, dessen Reformation sich 2016 zum fünfhundertsten Mal jährte und uns 2017 wohl noch öfter beschäftigen wird. Nach dieser Einführung vor Abonnenten aber auch Jugendlichen begann das choreografierte Konzert mit eben jener Sinfonie, deren Umsetzung von Andrey Kaydanovskiy erdacht, aber glücklicherweise nur stückchenweise neoklassisch „illustriert“ wurde. Denn wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte der Jungkünstler sich mit Sicherheit verhoben, im Gegensatz zum Gewinner dieser ersten Runde, zugunsten dieser blutjungen aber vielversprechenden Musiker und dieses anbetungswürdigen Komponisten.

Nicht so nach der Pause, als John Neumeiers Meisterwerk zu Bachs Orchestersuite Nr. 3 von den jungen Leuten mit Hingabe und höchst angenehmer Laune über die Bühne gebracht wurde, auch wenn das technisch sehr anspruchsvolle Stück kleine Unebenheiten aufwies. Aber wie schwer es ist auf Tournee spitzenmäßig zu sein – auf einer neuen Bühne mit wenig Zeit sich einzurichten – weiß ich aus eigener Erfahrung.

Es folgten zwei zeitgenössische Musiken, die eine mit dem Titel „Reversal“, einem Auftragswerk des Bundesjugendballetts an den Komponisten Michel van der Aa aus dem Jahr 2016, ebenfalls choreografiert von Andrey Kaydanovskiy. Das Stück versucht sich mit Erfolg an religiös-weltanschaulichen Hintergründen und bedient sich merkwürdigerweise und auffällig einer modernen Stilistik, die wir aus Werken von Agnes de Mille und anderen Zeitgenossen, vielleicht sogar aus frühen Werken von Martha Graham, kennen. Er trifft aber damit den Kern dessen, was er sagen will, und den modernen Tanz in den Vereinigten Staaten haben – so heikel diese Themen sind – diese schon sehr viel früher interessiert.

Eine Uraufführung hat das Bundesjugendballett auch im Gepäck, zu Musik für großes Orchester von Ejott Schneiders, der es sich nicht nehmen ließ, zu erleben, wie gut sein Werk in Essen ankam. Die junge Choreografin Zhang Disha hat sich noch weiter aus dem Fenster gelehnt und sich mit unseren ganz gegenwärtigen Problemen, den Auseinandersetzungen im Nahen Osten, beschäftigt. Mit ihren Bürgerkrieg-mäßigen und religiösen Hintergründen befindet sie sich da in direkter Nachfolge von Hans Kresnik und bedient sich schonungslos ähnlich brutaler Stilmittel, denen man sich nicht entziehen kann.

Das ist wirklich ein mutiges Stück, ob man es mag oder aus verschiedensten Gründen nicht. Es gebührt ihr besondere Aufmerksamkeit. Ich bin gespannt, wie die Entwicklung dieses Jungkünstlers weitergeht und habe allen Respekt davor, wie die natürlich viel zu jungen Leute in Kaki-Uniformen und -Helmen Krieg markieren, alle hässlichen Seiten, auch Grimassen schneiden, wie der Choreograf sich das ausgedacht hat, um es möglichst glaubhaft rüberzubringen. Und alle acht Tänzer von verschiedenen Kontinenten werden nicht in jedem Engagement so unterschiedliche, für sie kreierte Stücke zu tanzen bekommen.

Es lebe das Bundesjugendballett, das durchaus ein paar mehr junge Tänzer gebrauchen könnte (statt weniger als 10% des Bundesjugendorchesters dürften es ruhig 15-20% sein). Für die Chance, die damit gegeben wird, den Schritt ins professionelle Tänzerleben zu machen, könnte vielleicht der Bundestag durch die Bundesagentur finanzielle Mittel genehmigen? Für die Anfänger, die sich so schwertun, weil – wie in allen Berufen – Anfänger ohne Berufserfahrung kaum willkommen sind. Mit dem großen Unterschied, dass jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag, den die TänzerInnen nach vier- bis achtjähriger Ausbildung verlieren, die kurze Karriere in einer flüchtigen aber unvergleichlichen Kunstform noch kürzer machen ...

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