„La Fille mal gardée“ von Frederick Ashton; Maria Shirinkina und Vittorio Alberton

„La Fille mal gardée“ von Frederick Ashton; Maria Shirinkina und Vittorio Alberton

Französisch Rustikales mit britischem Humor

Frederick Ashtons „La fille mal gardée“ am Bayerischen Staatsballett

Eine interessante Geschichte steckt hinter diesem hauptsächlich durch seinen irrwitzigen Holzschuhtanz bekannten Ballett.

München, 26/01/2017

Ländliche Idylle, Maibaum-Fest, glücklich tanzende Hühner und eine nicht standesgemäße Liebe – 1971 wurde Frederick Ashtons Meisterwerk „La fille mal gardée“ (1960) ins Münchner Repertoire übernommen. Abgesehen von einigen Vorstellungen 2012/13 im Münchner Prinzregententheater (aus Anlass der damaligen „Very british!“-Saison), kehrt das Ballett nach 20 Jahren nun wieder auf die Nationaltheaterbühne zurück. „Vive la nostalgie!“

Aber etwas mehr als nur rückwärtsgewandtes Tanzvergnügen steckt sehr wohl in diesem Ballett: Die erste Fassung von Jean Dauberval (1742-1806), uraufgeführt am 1. Juli 1789 in Bordeaux, quasi am Vorabend der französischen Revolution, spiegelt, wenn auch in harmloser unterhaltsamer Form, den sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel. Hier tanz-agierten nicht mehr Götter, Herrscher, Helden und Nymphen, sondern Menschen aus dem Volk, wie es – im Gegensatz zur großen Oper – in der Opéra Comique schon vor der Revolution üblich war. Mit der ‚schlecht behüteten Tochter’ initiierte Dauberval das Genre der realistischen Ballettkomödie. Ursprünglich lautete der Titel „Le ballet de la paille ou Il n' est qu'un pas du mal au bien“, übersetzt „Das Ballett vom Heu oder: Es ist nur ein kleiner Schritt vom Schlechten zum Guten.“ Im Heuschuppen werden nämlich der junge Bauer Colas und die reiche Gutsbesitzertochter Lise in flagranti erwischt. Das Mädchen soll jedoch nach Wunsch ihrer Mutter, der resoluten Witwe Simone, den schüchternen, aber betuchten Winzersohn Alain ehelichen. Aber alles wendet sich ‚zum Guten’. Die Liebenden kriegen sich, und Witwe Simone heiratet Alains Vater.

Bemerkenswert neu bei diesem Ballett: Die Zuschauer konnten sich mit Lise und Colas identifizieren, die selbstbewusst heiter über alte Gesellschaftsordnungen hinwegtanzen. Und bei Dauberval, darin ganz Schüler des Balletttheoretikers und -erneuerers Jean-Georges Noverre (1727-1810), entwickeln sich Handlung und Tanz in logischer Konsequenz auseinander. Damit war das erstarrte spätbarocke Ballett überwunden.

Dass Daubervals Ballette, vor allem „Fille“, außerhalb Frankreichs so erfolgreich wurden, ist zunächst seinem Schüler Jean Aumer (1774-1833) zu verdanken. Er war es auch, der 1828 für seine Neuaufführung bei dem Opern- und Ballettkomponisten Joseph Ferdinand Hérold eine neue Musik bestellte. Dauberval hatte lediglich auf beliebte französische Volksweisen und Opernmelodien zurückgegriffen. Nebenbemerkung: laut Ballettkritiker Horst Koegler ist dieses Orchestermaterial in der Bibliothek der Bayerischen Staatsoper archiviert. Eine dritte musikalische Fassung von Peter Ludwig Hertel setzte sich an der Berliner Hofoper und in russischen Ballettensembles durch. Hérolds Partitur wurde in Paris verwendet und, bearbeitet von John Lanchberry, in Frederick Ashtons Londoner Royal-Ballet-Version.

Das Sujet kam Ashton natürlich entgegen. Er verpasste dieser französischen rustikalen Liebesgeschichte nicht nur seinen leichten britischen Humor, er tanzte auch selbst mit vollem Gusto die Witwe Simone. Unerreicht in dieser Rolle in München bleibt der Tänzer und Pädagoge der Münchner Ballettakademie Michel de Lutry: klein, kompakt, von einer schwebeleichten Komik und hochmusikalisch in jeder Bewegung und, Herzenserlebnis, in dem irrwitzigen Holzschuhtanz. Mit Gislinde Skroblin als Lise und Heinz Bosl als Colas war es eine Glanzbesetzung. Ashton hat dieses Ballett, dessen Originalversion im Laufe der Jahrhunderte und durch die zahlreichen Neuinszenierungen verschwunden ist, mit seinem Stil geprägt. Das, was er von den russischen Versionen übernommen hat – Tamara Karsavina, Image-Ballerina der Ballets Russes, soll ihm assistiert haben –, wurde auf seine britisch aristokratische Linie zugeschliffen. Bei ihm gilt nie Virtuosität, sondern die Kultur der Bewegung. Und wie Ashton volkstümliche Tanzelemente eingeflochten hat, ist schlicht leichthändig meisterlich. Das englische „clog dancing“ (clog = Holzschuh), leicht aufgemischt mit Steptanz-Schritten und einer Break-Figur, das verträgt sich bei Ashton blendend mit der Ballettklassik. Man wird jetzt sehen, ob Zelenskys neue Solisten diesen Ashton so frisch aussehen lassen, wie er es verdienen würde.

Bis 7. 2. weiter fünf Vorstellungen

Kommentare

Noch keine Beiträge