„Post Anima“ von Etienne Béchard. Tanz: Ensemble.

„Post Anima“ von Etienne Béchard. Tanz: Ensemble.

Und der Mensch spielt

Etienne Béchards „Post Anima“ erlebt seine Schweizer Erstaufführung in Bern

„Post Anima“ ist ein philosophisch-ästhetisches Erlebnis von großer Bildkraft und beeindruckender Körperlichkeit und bleibt dabei zutiefst menschlich. Der junge französische Choreograf wagt damit einen Blick in die Zukunft.

Bern, 31/01/2017

Ertönen die ersten Takte von Cristobal Tapia de Veers „Meditative Chaos“ und scheinen hinter grob gewebten Stoffbahnen schattenhaft verschlungene Paarkonstellationen auf, könnte in der Berner Vidmar 1 auch ein neuer Science-Fiction-Streifen beginnen. Futuristisch wird es dann auch in Etienne Béchards „Post Anima“. In dem 2014 uraufgeführten und nun mit der Tanzcompagnie Konzert Theater Bern in seiner Schweizer Erstaufführung zu erlebenden Stück wagt der junge französische Choreograf einen Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der Cyborgs die Welt bevölkern. Neu ist das Thema von Mensch und Maschine im Tanz nicht, wo Klassiker wie „Coppélia“ (1870) oder „Petruschka“ (1911) zum festen Repertoire gehören. Und schon 1810 befasste sich Heinrich von Kleist in „Über das Marionettentheater“ mit dem Faszinosum vom menschlichen und maschinellen Tänzer. Und doch ist das Thema vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Verschmelzung von Mensch und Technik, von realer und digitaler Welt aktueller denn je. Für die Berner Kompanie erweiterte Etienne Béchard in einem intensiven Probenprozess seine Choreografie für ursprünglich fünf Tänzer*innen auf eine Gruppe von fünfzehn.

„Post Anima“ ist ein philosophisch-ästhetisches Erlebnis von großer Bildkraft und beeindruckender Körperlichkeit und bleibt dabei zutiefst menschlich. Tänzerisch hoch anspruchsvoll ist diese Choreografie, die von den Berner Tänzer*innen nicht nur körperliche Höchstleistung verlangt, sondern auch eine Exaktheit bis in kleinste Details. Hohe Sprünge, Off-Balance und akrobatische Hebefiguren wechseln sich mit ausdrucksstarken, feinfühligen Pas de deux ab, die die verschiedenen Persönlichkeiten der Tänzer*innen spiegeln. Bravourös meistert die Berner Kompanie diese Herausforderung. Das alles entwickelt sich im Laufe der 60-minütigen Performance erst. Beginnt doch alles mit einer Gruppe von roboterhaften Wesen, die am Rücken von einem starken Seil gehalten unermüdlich nach vorne streben. Ohne eigene Persönlichkeit, die Gesichter durch schwarze Masken verdeckt (Kostüme: Emma Paris), bahnt sich eine gesichtslose Masse ihren Weg. Was sich schon in den extrem weichen und flexiblen Oberkörpern, die so gar nicht zu der technischen Gewandung passen mögen, erahnen lässt, wird zunehmend Wirklichkeit: Paare wagen vorsichtige Annäherungsversuche, die Körper werden weicher, Bewegungen fließender, Licht und Schatten kreieren eine Plastizität, die in ihrer Weichheit nicht mehr zu den futuristischen Klängen passen mag. Ein Licht leuchtet auf, die Masken fallen. Der Cyborg ist zum Menschen geworden.

Und was macht diesen Menschen aus? Etienne Béchard führt nicht etwa die großen menschlichen Leidenschaften an, nein, er bleibt bei den kleinen, aber feinen Begegnungen, dem alltäglich Zwischenmenschlichen. Und er spielt. Béchards Mensch wird zum Menschen, weil er spielt, weil er einfach Freude am Leben, an sich und den Anderen haben kann. Zu einem Seiltanz auf dem Boden, mit Live-Video in die Vertikale projiziert, erklingt ein schwungvoller Walzer. Ein wunderschöner Pas de deux zwischen Winston Ricardo Arnon und Nozomi Matsuoka erzählt eine kleine Liebesgeschichte. Projektionen, die das Bühnengeschehen vervielfachen, schaffen Raum und Tiefe (Videodesign: Denis Waldvogel). Die äußerlich durch ihre an Verkabelungen erinnernden schwarz-beigefarbenen Ganzkörperanzüge immer noch maschinenhaft wirkenden Tänzer*innen werden zutiefst menschlich. Bei dieser harmonischen Utopie bleibt Béchard nicht stehen, auch Aggressionen schleichen sich zunehmend ein. Und letztlich führt er, behutsam, aber unwiederbringlich alles an den Anfang zurück.

„Post Anima“ ist nicht nur tänzerisch und visuell ein künstlerischer Genuss, auch die Dramaturgie beeindruckt, zu der die Musikauswahl mit Cristobal Tapia de Veer, Franz Schubert, Wolfgang Amadeus Mozart und Jean Ferrat um nur eine Auswahl zu nennen, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leistet. Schafft sie doch die Verbindung von Einheit und Offenheit, von Spiel und Ernst, von Künstlichem und Menschlichem, die gutes (Tanz-)Theater ausmacht, mit einer so selbstverständlichen Leichtigkeit. Mit dieser Schweizer Erstaufführung ist der Tanzcompagnie Konzert Theater Bern eine wunderbare und sehenswerte zweite Premiere dieser Spielzeit gelungen.

 

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