„Viktor“ von Pina Bausch.

„Viktor“ von Pina Bausch.

Wehmütiges Erinnern

Das Tanztheater Wuppertal mit „Viktor“ in Hamburg

Vier Vorstellungen gab es, viermal waren sie bis auf den letzten Platz ausverkauft: Pina Bauschs „Viktor“ und das Tanztheater Wuppertal haben auch 30 Jahre nach der Uraufführung nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt.

Hamburg, 31/01/2017

Vier Vorstellungen gab es, viermal waren sie bis auf den letzten Platz ausverkauft: Pina Bauschs „Viktor“ und das Tanztheater Wuppertal haben auch 30 Jahre nach der Uraufführung nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Es hätten gern auch noch fünf weitere Vorstellungen geben können. Dies umso mehr, als – man glaubt es kaum – das Stück zum ersten Mal in Hamburg gezeigt wurde. (Daneben war das Tanztheater Wuppertal 2000 mit „Nelken“ im Hamburger Schauspielhaus und 2002 bzw. 2011 mit „Kontakthof“ in den Versionen für Damen und Herren ab 65 sowie mit Teenagern ab 14 auf Kampnagel.)

Einmal mehr zeigte „Viktor“ augenfällig, wie prägend Pina Bauschs Schaffen für den modernen Tanz war – und bis heute noch ist. Und welche Meisterin des dramaturgischen Aufbaus sie war, wie sie ein Stück komponiert hat aus vielen kleinen Episoden, die sich auf wundersame Art zu einem großen Ganzen vereinen. Es ist ein Stück voller Witz und Humor, voller Skurrilitäten, aber auch voller Ernsthaftigkeit. Denn bei aller Leichtfüßigkeit hat es doch einen ganz enormen Tiefgang.

„Viktor“, das sind Spotlights aus dem Rom der 1980er Jahre, wo Pina Bausch und ihre Truppe mitsamt Bühnenbildner Peter Pabst mehrere Wochen zu Gast war, um Eindrücke zu sammeln, was sich erkennbar im Stück wiederfindet. Vieles erinnert an italienische Straßen- und Familienszenen. Und was immer Peter Pabst dazu getrieben hat, die Bühne mit einem mehrere Meter hohen Torferdewall zu umgeben – dieses Ungetüm gibt dem Kommen und Gehen der 27 TänzerInnen und 27 Statisten (alles Herren im Anzug) auf der Bühne einen wuchtigen Rahmen, höhlenähnlich und doch offen genug, damit sich das Treiben entfalten kann. Vieles bleibt schemenhaft, verrätselt, manches erscheint surreal – zum Beispiel die beiden Schafe, die am Strick auf die Bühne geführt werden, die drei Schoßhündchen als Objekte einer Versteigerung. Es ist ein buntes Sammelsurium von Lebensimpressionen, die sich hier innerhalb von drei Stunden entfalten und in keiner Minute ermüdend, langweilig oder abgegriffen wirken.

Eine der schönsten Szenen hat Pina Bausch kurz vor Schluss eingebaut: die Frauen kommen in Ballkleidern und schwingen an von der Decke herabgelassenen Turnerringen in großen Schwüngen über die gesamte Bühne, angestoßen und behutsam wieder auf dem Boden abgesetzt von einem der Tänzer. Großartig ihre rhythmischen Ensembles – wenn die Tänzer in Formation mit weit ausholenden Armbewegungen über die Bühne gleiten. Oder wenn eine der Tänzerinnen auf dem Boden sitzend langsam auf der Mittellinie nach vorne rutscht, den Oberkörper und die Arme dabei rhythmisch nach vorne und zur Seite schwingend, dass die langen roten Haare nur so fliegen.

Höchst unterhaltsam auch die Musikzusammenstellung – überwiegend Volksmusik aus italienischen Regionen, aber auch Tschaikowsky, Buxtehude, Dvorak, russische Walzer und Tanzmusik der 1930er Jahre. Immer wieder ergänzt durch das Rascheln und Rieseln des Torfs, das ein Mann vom Erdwall herunterschippt, langsam von ganz links nach ganz rechts auf der Oberseite entlangwandernd.

„Viktor“ – das ist ein wehmütiges Erinnern an die Meisterschaft einer großartigen Choreografin. Mehr davon, bitte.

 

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