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Stuttgart
ZEHN JAHRE TANZ, BRILLANT, RASANT, MIT CHARISMA UND CHARME
„Big Fat Ten“ - der Jubiläumsabend von Gauthier Dance am Theaterhaus in Stuttgart
Jedes große Ereignis kündigt sich an. Auch wenn man nicht ahnen konnte, was daraus entsteht, als der damalige Hauschoreograf beim Stuttgarter Ballett, Christian Spuck, für Egon Madsen und Eric Gauthier, unter dem Titel „Don Q.“ seine Varianten zu „Don Quixote“ am Theaterhaus herausbrachte, die Hoffnungen darauf, dass hier etwas im Entstehen sein könnte, sie waren geweckt. Und diese Hoffnungen haben sich in einem Maße erfüllt, wie es sich wohl selbst ein Multitalent wie Eric Gauthier nicht hätte erträumen können. Oder doch? Im Rückblick, jetzt zum Jubiläum, sagt der ehemalige Solist des Stuttgarter Balletts, der sich auch einen Namen mit seiner Band als Gitarrist und Sänger gemacht hatte, dass er so einen großen Traum schon hatte, und als sich dann die produktiven Mitträumer wie Werner Schretzmeier als Intendant des Theaterhauses und Egon Madsen als Company Couch die kühnen Träume zu eigen machten, da gab’s kein Halten mehr, „Guthier Dance am Theaterhaus in Stuttgart“ war kein Traum mehr.
„Six Pack“, das war die erste Premiere, elf weitere folgten in den nächsten Jahren, zuletzt mit Marco Goeckes Uraufführung „Nijinsky“, ein Wahnsinnserfolg, und nun, zur Feier des Geburtstages, „Big Fat Ten“ - sieben Choreografien für die nunmehr aus 16 Tänzerinnen und Tänzern bestehende Kompanie, zwei Wunschstücke, die sich Gauthier für seine Truppe erträumte und fünf eigens für diesen Anlass geschaffene Uraufführungen, die schönste Träume wahr werden lassen.
In gewisser Korrespondenz zu Marco Goeckes Kreation „Nijinsky“ beginnt der Abend mit „Prélude à l'après-midi d'un faune“ von Claude Débussy in der Choreografie von Marie Chouinard, uraufgeführt 1994 in Taiwan. Indem die Choreografin in ihrem Solo für eine Tänzerin Bilder und Bewegungen aufnimmt, die an Nijinskys Interpretation zur Uraufführung erinnern, kann Anna Süheyla Harms mit ihrem hoch konzentrierten Tanz eine Brücke schlagen, die dahin führt, wo die Tanzmoderne begann und zugleich kraft ihrer Persönlichkeit in die gegenwärtige Wahrnehmung führt, in die Emanzipation des Tanzes. Die Tänzerin als Frau nimmt für sich in Anspruch, mit einer roten, phallischen Insignie der Männlichkeit, sich den Urinstinkten menschlicher Begierden, unabhängig von geschlechtlicher Zuschreibung, hinzugeben.
Es folgt „Violoncello“ von Nacho Duato, ein streitbares Stück zu Musik von Bach. Die berühmte Fotografie „Le Violon d'Ingres“ von 1924, im Sinne des Dadaismus, wird sich ins Gedächtnis schleichen, wenn in Duatos Kreation die Tänzerin zum Instrument wird und der Tänzer sie mit dem Streichen seines Bogens in erregende Bewegungen versetzt. Sandra Bourdais und Maurus Gauthier machen das mit Hingabe und auch leichtem Humor, so, dass wohl auch strengere Feministinnen hier gerne wenigstens ein Auge zudrücken dürften, um mit dem anderen genüsslich hinzusehen.
Dann folgen fünf Uraufführungen. Und schon die Erste ist dermaßen rasant: „My Best Enemy“ von Itzik Galili. „We will show you the best Ballet of the world“ verkünden die beiden Tänzer Rosario Guerra und Jonathan dos Santos, korrekt gekleidet, und Alexandra La Bella in herrlicher Marilyn-Monroe-Manier lässt diese beiden herrlichen ‚Charmebolzen’ auf Sprungfedern zum Sekundentakt ihrer Stoppuhr durch die Tanzvarianten wirbeln, sie kommentieren und interpretieren, sie springen und drehen, das Publikum dreht ab, die Tänzer drehen noch mal auf, die Bombe platzt, Konfetti für alle!
Wer könnte Alejandro Cerrudos Geniestreich „Paco Pepe Pluto“ aus dem Programm „Infinity“ von 2015 vergessen, die drei fast nackten Tänzer zur Musik von Dean Martin. Zum Jubiläum schenkt er der Kompanie seine Kreation „They´re in your Head“ - etwas nachdenklicher wird es, wenn sich die gesamte Kompanie in dunkler Kleidung in Bildern findet, die sich immer wieder auflösen, wenn aus den Jacken der Tänzer Qualm aufsteigt, wenn der Tanz die Körper zu verbrennen scheint und sie dennoch in nahezu ritueller Unausweichlichkeit agieren bis der letzte Ton verklingt und sie die Dunkelheit schützend umhüllt.
Allein der Song „Sweet, sweet“ von Jeff Buckley in seiner Melancholie der abgrundtiefen Einsamkeit ist von betörender Wirkung. Die Choreografie dazu von Johan Inger für Garazi Perez Oloriz, Anneleen Dedroog und Francesca Ciaffoni setzt selbstbestimmte Bewegungsbilder starker Frauen dagegen, Tanz als kraftvoller Ausdruck der Melancholie, betörende, assoziative Momente.
„Ballet 101“, einst für Jason Reilly von Eric Gauthier kreiert, wurde zum Kultstück. Jetzt legt Gauthier nach. „Ballet 102“ ist seine getanzte Satire auf die 102 Positionen des klassischen Pas de deux. Zum Jubiläum geben sich Barbara Melo Freire und Theophilus Veselý mit Kunst und Können, vor allem mit viel Humor und mitreißendem Charme diesem augenzwinkernden Spaß voll und ganz hin. Das Publikum ist hin und weg, zurecht, denn Gauthier hat sie alle mit witzigen Zitaten eingeladen zu dieser Geburtstagsparty, manche grüßen von oben, Petipa, Nijinsky oder Cranko. Andere, Mats Ek, John Neumeier oder Mauro Bigonzetti und etliche mehr dürften sich freuen, wenn sie sich erkennen.
Zum Finale „Steams“ von Andonis Foniadakis für das gesamte Ensemble vor einem changierenden Vorhang aus glitzernden Fäden, auf dem sich der Tanz im genialen Lichtdesign von Sakis Birbillis in geheimnisvolle Weiten projiziert. In einer rasanten Abfolge finden sich die Tänzerinnen und Tänzer in immer wieder neuen Konstellationen zusammen, Bilder entstehen und lösen sich sofort wieder auf. Eine kraftvolle Choreografie von der verführerischen Schönheit der Vergänglichkeit und der Einladung zur Feier des Augenblicks. Die Träume gehen weiter.
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