„The Glass Managerie" von Matija Ferlin. Tanz: Ensemble.

„The Glass Managerie" von Matija Ferlin. Tanz: Ensemble.

Neue Theatralität im zeitgenössischen Tanz

Das biennale Tanz- und Performance-Festival „Gibanica“ in Laibach (SLO)

Alle zwei Jahre findet das Gibanica-Festival statt. Der slowenische Dachverband für zeitgenössischen Tanz organisiert diese Zusammenschau in Slowenien produzierter Arbeiten, um die kreativen Kräfte geballt sichtbar zu machen.

Laibach, 12/03/2017

Wenn Anja Bornšek ihr linkes Sprunggelenk mit einem blitzblauen Tape bandagiert, um so das Hinken der Laura in Matija Ferlins Adaption von Tennessee Williams „Glasmenagerie“ zu kennzeichnen, dann verweist sie damit indirekt auf generelle Strategien der Einspeisung von Theaterstücken in den zeitgenössischen Tanzkanon. Das Verschieben von Zeichen zählt dabei zu den zentralen Charakteristika. Statt das beeinträchtigte Gehen von Laura auszustellen, verwendet Bornšek ein visuelles Signal. Anstelle des Sprechakts im Schauspiel setzt Ferlin auf ein abstraktes Bewegungsvokabular, welches der kroatische Choreograf geschickt mit angedeuteter Mimik und Gestik auflädt, wodurch die dem Text innewohnenden seelischen Implikationen in schillernder Vieldeutigkeit zum Vorschein treten. Seine zwingende szenische Gestaltung übertrifft dabei Anne Teresa de Keersmaekers Shakespeare-Adaption „Golden Hours“, die beim Steirischen Herbst 2015 in Graz gastierte. Keersmaeker experimentierte damals ebenfalls mit der Überführung von Schauspiel in Tanz. Während sich das Publikum bei De Keersmaeker in der Vogelperspektive auf einen leeren Bühnenraum inhaltlich verlor, erleichtert Ferlin dem Auditorium ein Eintauchen in die Welt der Nicht-Wörter durch ein klares Bühnensetting. Mauricio Ferlin baute eine Theater-im-Theater-Situation, deren Hauptaktion in einem Hausumriss passiert, die an das Bühnenbild von Lars von Triers „Dogville“ erinnert. Verdient gewinnt Ferlin und sein Ensemble mit dem non-verbalen „Staging A Play: The Glass Menagerie“ den Großen Preis der Jury des 8. Gibanica Festivals 2017 in Ljubljana.

Doch der Reihe nach: Seit 2003 findet alle zwei Jahre das Gibanica-Festival in Laibach statt. Der slowenische Dachverband für zeitgenössischen Tanz organisiert diese Zusammenschau von in Slowenien produzierten Arbeiten, um die kreativen Kräfte geballt für lokale und internationale Gäste sichtbar zu machen. Heuer wählte eine dreiköpfige Jury aus Angela Glechner (Szene Salzburg), Eddie Nixon (The Place, London) und Suzana Koncut (Ljubljana, Slowenien) aus 44 Einreichungen neun abendfüllende Produktionen, welche man von 8. bis 11. März in unterschiedlichen Locations der Hauptstadt zeigte.

Umrahmt wurde das Festival mit der traditionellen Vorpremiere des Laibacher Tanz-Gymnasiums SVŠGL sowie mit drei Talks über „Extended Choreography“ und kuratorische Praxis. Als besonders sinnvoll erwiesen sich dabei die theoretischen Reflexionen über einige Festivalbeiträge. Als einen Ausgangspunkt der Reflexion wählte der Dramaturg und Publizist Rok Vevar die Entwicklung der Improvisation seit Steve Paxton. Paxton, der in den USA der 1970er Jahre nach einer Technik des demokratischen Miteinanders suchte, entwickelte mit der Contact Improvisation, ein weich-fließendes, paarweises Miteinander aus Stützen, Heben, Rollen, Fallen und Schwingen. Nachfolgende Generationen erweiterten diese Praxis durch definierte Vorgaben, sogenannte Scores, mit deren Hilfe inzwischen häufig Bewegungsmaterial für Produktionen kreiert wird.

Im Rahmen von „Gibanica“ sah und diskutierte man nun aus einer historisch-unterfütterten Perspektive unter anderem die drei Arbeiten: „Unnamed“ von Žigan Krajnčan und Gašper Kunšek, „Physical Manifestations“ von Snježana Premuš sowie Magdalena Reiters „Forms of Distance“. Die beiden virtuosen Nachwuchstänzer Žigan Krajnčan und Gašper Kunšek steigern in ihrem symbiotischen Duett „Unnamed“ die ehemals harmonische Ästhetik der Contact Improvisation in ein akrobatisches, wechselseitiges Körperkraxeln aus Klammern, Hängen und Umschlingen. Snježana Premuš geht in den Improvisationen zum Quartett „Physical Manifestations“ von körperlichen Unterschiedlichkeiten, etwa in Statur, Gewicht und Flexibilität, aus. Magdalena Reiter generiert das Material ihres Quartetts „Forms of Distance“ – wie der Titel bereits verrät – aus dem Raum zwischen Körpern und Objekten. Wiewohl man auf der Bühne der spannenden, theoretischen Ansätze gewahr wird, kann keine Arbeit die Ansprüche nach Konsistenz, Innovation und choreografischer Exzellenz komplett erfüllen. Obzwar tanztechnisch ausgezeichnet bewältigt, zeigt sich eine Überschätzung von physischem Exzess bei Žigan Krajnčan und Gašper Kunšek, eine fehlende Gesellschaftsrelevanz bei Snježana Premuš sowie eine konventionelle Dramaturgie bei Magdalena Reiter.

Interessanterweise enthalten dieses Jahr vor allem die theatralen Gibanica-Arbeiten ein innovatives Potenzial. So etwa die hemmungslose Dauermasturbation in „Ideal“ von Leja Jurišić und Teja Reba. Der Variantenreichtum an Körperstellungen auf goldener Matratze begleitet von Hecheln, Seufzen, Aufjaulen und banalen Dialogen unterstreicht bedrohlich, wie patriarchal der neoliberale Turbo-Porno-Warencharakter unseren Alltag penetriert. Auditiv und philosophisch geht das siebenköpfiges Atemkonzert „Something’s in the Air“ (Janša/Narat/Preda/Tomažin) über die pechschwarze Bühne und initiiert im komplett verdunkelten Saal ein kinästhetisches Erlebnis aus Geräusch, Geruch, Windzug und bewegten Bildern im Kopf. Neben Ferlin holte sich übrigens Dagmar Dachauer für das narrativ angelegte Solo „Wunderbare Jahre“ über den Wiener Walzer den Publikumspreis.

Trotz ausgelassener Stimmung bei der Preisverleihung war das gesamte Festival von der zunehmenden Prekarität der lokalen Tanz-Community überschattet. Die mangelnden Ressourcen drücken inzwischen auf die künstlerische Qualität. Der amtierende Kulturminister Anton Peršak sollte wohl weniger durch launige Tanzanekdoten in der Eröffnungsrede glänzen, als durch Präsenz bei Aufführungen und Engagement in der Förderpolitik.

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