„iHome“ von Dan Pelleg und Marko E. Weigert.

„iHome“ von Dan Pelleg und Marko E. Weigert.

Unsere Heimat ist die nackte Haut

„iHome“ - das neue Tanzstück am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Dan Pelleg und Marko E. Weigert haben diesen Abend zusammen mit ihrem Ensemble konzipiert. Die 13 Mitwirkenden kommen aus 12 Ländern und bringen vor allem die Erfahrung mit, was es bedeutet, an fernen Orten heimisch zu werden.

Görlitz-Zittau, 13/03/2017

Der Tanz gehört zum besonderen Profil des Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau. Einst gab es hier eine Ballettkompanie, getanzt wurde vornehmlich klassisch und neoklassisch. Nach dem Tod des Chefchoreografen Franz Huyer 2005 führte Gundula Peuthert konsequent modernes Tanztheater auf.

Seit 2010 wird die Kompanie von Dan Pelleg und Marko E. Weigert geleitet. Pelleg kommt aus Israel, wo er Tanz studierte, Weigert wurde an der Palucca Schule ausgebildet. Als Begründer der Berliner Wee Dance Company haben sie einen Namen in der Tanzwelt. Sie konnten den Tanz noch stärker etablieren, besonderen Anklang finden ihre Arbeiten beim jüngeren Publikum. Zudem erweist es sich als klug, dass sie durch ihre choreografische Mitarbeit auch Produktionen des Musiktheaters besondere Akzente geben. Thematisch sind sie oft am Puls der Zeit, so in ihrer Sicht auf ein klassisches Thema wie „Romeo und Julia“, stärker noch in „Die kleine Meerjungfrau“ mit der berührenden Tragik einer jungen Frau, die daran zerbricht, einsam und sprachlos unter Fremden zu sein. Das Eigene und das Fremde, die Heimat und das, was wir dafür halten, darum geht es auch in dem neuen Tanzstück mit dem Titel „iHome“.

Dan Pelleg und Marko E. Weigert haben diesen Abend in Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern konzipiert und da bieten sich authentische Akzente dieser aktuellen Thematik an. Die 13 Mitwirkenden dieser Produktion kommen aus 12 Ländern, fast alle Erdteile sind vertreten. Sie bringen Lebens- und Kulturgeschichten mit und vor allem Erfahrungen, was es bedeutet, an fernen Orten heimisch zu werden, das Eigene nicht aufzugeben und sich dem Fremden zu öffnen. Vorausgesetzt ein solcher Prozess beruht auf Gegenseitigkeit und das Fremde, das Unbekannte wird nicht als Bedrohung des Eigenen verstanden. Daraus resultierende Konflikte und Alltagserfahrungen, um die es im Kontext gegenwärtiger Herausforderungen geht, nimmt diese neue Görlitzer Tanztheaterproduktion auf und das mitunter sehr direkt, manchmal auch zu direkt.

Das beginnt schon damit, dass ein offensichtlich fremder Mann, als Straßenmusikant seine Zugehörigkeit demonstriert und auf seiner Geige das „Deutschlandlied“ kratzt, sich dazu zwei Tänzer recht gewaltsam miteinander verhalten, der Musikant dann mit hingeworfenem Kleingeld abgespeist wird. Dann wird eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne gebeten. Das ist natürlich inszeniert, sie trägt eine Burka. Der Moderator ist jovial, nach dem Motto: Haben Sie sich doch nicht so, hier kann jeder mitmachen, wir sind ganz offen, nur musst Du dich nach unseren Normen richten.

Auf der Bühne von Markus Pysall steht ein großer Aufbau, ein Gebäude, viele Räume, ein Glashaus, da kann man hineinsehen, aber nicht jeder darf hinein. Wer es geschafft hat hineinzukommen, richtet sich ein, bringt die Zeichen seiner „Heimat“ mit: Teddybären, Kissen, Gardinen, Blumenkästen, Staubsauger, auch rituelle Gegenstände ferner Kulturen. So wird dieses Haus zur Festung oder sogar zum Gefängnis.

Da üben sich zwei Frauen in fernöstlichen Bräuchen, mit Kimono und Teezeremonie. Es gibt einen Tanz, der an indische Klischees erinnert. Eine stürmende Touristengruppe ist scharf auf ein „Selfie“ mit der Frau in der Burka. Und immer wieder der oder die Einzelne und die Gruppe, und die kann dann schon mal zur Horde werden, die mit mächtigen Ghettoblastern auf den Schultern die Bühne stürmt: „Ausländer raus“!

Mit der Auswahl der Musik und dem Sounddesign von Dan Pelleg sollen musikalisch und tänzerisch die unterschiedlichen „Heimatklänge“ thematisiert werden. Präsent sind vor allem Titel der polnischen Folkloregruppe „Dikanda“ mit eigenen Einflüssen, aber auch aus anderen östlichen Ländern, zudem aus dem Kurdischen und immer wieder aus dem Jiddischen. Es klingt mal fernöstlich, indisch, man vernimmt Klänge der Roma. Doch diese musikalische Heimatsuche birgt auch Gefahren. Der Tanz dazu kann ganz schnell aus- und abgrenzend werden, hier die Gruppe, da die Einzelnen. Hier das Haus mit gläsernen Scheiben, die da drinnen, die da draußen, für alle reicht der Platz nicht. Den eigenen Platz, die Grenzen gilt es zu verteidigen, auch mit Gewalt. Das Programmheft zitiert den bildenden Künstler Alexander Polzin, der auch mit dieser Kompanie schon gearbeitet hat. Er nennt solches Verhalten „Selektion“ und kommt zu dem Schluss: „Das Prinzip Auschwitz umgibt uns nach wie vor.“

Mutig und engagiert stellen sich die Tänzerinnen und Tänzer mit den unterschiedlichen Mitteln ihrer Bewegungssprache dieser Provokation, was auch gelingt, wenn sie nicht dem Fehler verfallen, eine missverständliche Folklore-Show abzuliefern, oder wenn etwa eine Parade mit geschwungenen Nationalfahnen ein bisschen zu sehr wie die berühmte Faust aufs Auge passt.

Eine der stärksten Szenen dürfte jene sein, in der eigentlich gar nicht getanzt wird. Wieder diese Frau in der Burka. Eine Stimme aus dem Off, ganz freundlich - so nach der Methode: „Na siehst Du, das geht doch, ist doch ganz leicht...“ - bringt sie dazu, sich gänzlich nackt zu machen. Allein dieser Vorgang ist erschütternd. Und wenn sie dann ihre nackte Haut rettet, dann wird dieser mitunter etwas revueartige Heimatabend doch existenziell. Letztlich ist Heimat nicht der so oft besungene Heimatkitsch: „Unsere Heimat, das sind nicht nur...“. Nein, es ist die nackte Haut, die können wir unter noch so vielen Hüllen verbergen, verstecken, doch wenn es darauf ankommt, gilt es, sie zu retten und eine Entscheidung darüber zu fällen, wann das Haus voll ist, wer das bestimmt und wer den Einlass reguliert. Oder müssen wir diese ganzen Heimatträume begraben, wie es ein Bild am Ende des Abends dieser Görlitzer Heimat-Traum-Tänzer andeutet? Wenn nämlich vor dem Glashaus all diese Behaglichkeitsaccessoires wie Grabschmuck drapiert werden mit flackernden Gedenkkerzen vor Teddybären.

So fehlt es diesem am Ende vom Publikum mit großer Zustimmung aufgenommenen Tanztheaterabend nicht an assoziativen Bildern. Die stehen mitunter im Gegensatz zur tänzerischen Direktheit. Es sei denn, sie erfährt die Kraft individueller Präsenz und und wird mit überzeugendem, technischem Anspruch getanzt, wie beispielsweise von Jeremy Detscher, Absolvent der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden, und ganz neu, hoffentlich nicht fremd, in der Tanzkompanie des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau.

 

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