„ORDR“ von Jonas Woltemate.

„ORDR“ von Jonas Woltemate.

Wir ordnens wieder und zerfallen selbst

„ORDR“ von Jonas Woltemate auf Kampnagel

In seiner neuen Choreografie untersucht der junge Hamburger Choreograf Woltemate zusammen mit seinem künstlerischen Team verschiedenen Ordnungssysteme und schärft dabei seine choreografische Handschrift mit neuen Raumexperimenten.

Hamburg, 21/03/2017

Von Katya Statkus

In „ORDR“ untersucht der junge Hamburger Choreograf Jonas Woltemate zusammen mit seinem künstlerischen Team verschiedenen Ordnungssysteme. Mithilfe der hervorragenden Tänzer Alexandre Achour und Verena Brakonier nimmt er Massenchoreografien auseinander, stellt die Trajektorien der Planeten nach und baut eine ironische vierte Wand zum Publikum - denn die Zuschauer wurden im Stück auch stets neu choreografiert: Sie werden zu kleinen Atomen, die durch ihre Zusammensetzung immer wieder den Raum neu definieren können (Szenografie - Wiebke Strombeck).

Beim Einlass in der ehemaligen Fabrikhalle K4 bekam jeder einen eigenen Klappstuhl und wurde gebeten, sich in einer festen Sitzordnung zu begeben. Es gab hier zum Beispiel einen etwas konspirativen Sitzkreis, zwei lange gegenüber stehende Stuhlreihen (die an einen Biergarten erinnerten), einzelne kleine Stuhlinseln. Für die ersten 10 Minuten des Stückes bekamen alle Zuschauer die Aufgabe, sich mit ihren Sitznachbarn darüber zu unterhalten, wie die verschiedenen Sitzordnungen unsere Kommunikation beeinflussen. Und wenn man einen kurzen Blick auf die „Biergarten-Formation“ zur hinteren Wand der Halle geworfen hat, sah man sofort den lebendigen Beweis dafür.

So ein reizvoller Anfang – bei dem die Zuschauer für einige Minuten sich selber überlassen wurden – sagt voraus, dass wohl auch im weiteren Verlauf mit Publikumsformationen gespielt werden wird. Daher wurden alle mal dazu aufgerufen, aufzustehen und langsam, wie die Erde um die Sonne, im Kreis um die Tänzerin zu spazieren. Mal wurden alle gebeten, die Klappstühle mitzunehmen und sich vor einer Leinwand dicht nebeneinander zu setzen. Dabei verschwanden die Tänzer für einen Moment hinter der materiellen vierten Wand aus Körpern und sprechen ein Dialog über Leonardo Fibonacci und seine berühmte mathematische Folge - da wird der Raum zu einem skurrilen Kinosaal. Und gleich danach wird die Leinwand schon wieder in einer andere Kulisse transformiert, die Zuschauer verwandeln sich vom Kinobesucher in ein Tribünenpublikum und die Tänzer zeigen zu zweit Fragmente diverser Massenchoreografien.

Dabei entsteht ein unheimliches, fast magisches Gefühl: Immer wieder fühlt man sich in der riesigen K4-Halle wie im All und kurz verloren, man fragt sich stets: „Wo bin ich jetzt?“ und gleich danach wird man durch die charmante Präsenz der Tänzer schon in einen neuen imaginären Raum entführt. In dieser Hinsicht verfolgt Jonas Woltemate mit „ORDR" weiter die Linie, die er mit dem Stück „CHAOS“ (2015) angefangen hat: Nur diesmal sind seine räumlichen Experimente noch sinnlicher und überraschender.

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