Auf der Suche nach der zyklischen Zeit

Umjubelte Uraufführung von James Sutherlands „Zyklus“ in Kaiserslautern

Entlang einer entwicklungspsychologischen Idee fächert Sutherland nicht nur choreografisch gekonnt sondern auch musikalisch spannend den Zustand der Menschwerdung, als Individuum, Partner, Mitglied einer Gruppe auf.

Kaiserslautern, 08/04/2017

Riesenapplaus für „Zyklus“ von James Sutherland in Kaiserslautern. Ob Werkstattbühne mit 13 ausverkauften Vorstellungen von „Tanz.1: Same Time Tomorrow“ oder aktuell die Uraufführung „Zyklus“ im großen Haus, Sutherland trifft den Nerv des Publikums.

So zeit- und selbstvergessen wie sich Nijinski in „L'après-midi d'un faune“ auf dem Fels räkelt, so dehnt, streckt, windet und rollt sich der Tänzer auf einem quadratischen Objekt – für einen magischen Moment überlagern sich die beiden Bilder: der moderne Tänzerkörper gleichsam Fels in der Brandung einer atomisierten Welt und der Faun in der flirrenden Nachmittagshitze, der sich im vorgeburtlich-paradiesischen Zustand des All-Einen wähnt.

Aus der anfänglichen Stille steigen Arvo Pärts chromatische Klangnebel auf, verdichten sich unter grellen Lichtblitzen zu amorpher Sinfonik. „Perpetuum Mobile“ heißt die kurze Komposition, die James Sutherland als Präludium an den Beginn von „Zyklus“ stellt. Quasi der Anfang eines Lebens, das mit gebündelter Energie aus der warmen, vorgeburtlichen Geborgenheit ins Unbekannte fällt, überwältigt von Sinneseindrücken.

Entlang einer entwicklungspsychologischen Idee repräsentieren auch die weiteren drei Kompositionen für den Choreografen den Zustand der Menschwerdung, als Individuum, Partner, Mitglied einer Gruppe. In der seriellen Musik des „Violinkonzerts Nr. 1“ von Philip Glass schwingt der repetitive Charakter einer kreisenden Zeitbewegung, die das Individuum reifen lässt, Strukturen erkennt und im Erwachsenwerden weiter entwickelt. Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem“ transportiert die schmerzliche Erkenntnis der Endlichkeit. In Samuel Barbers „Adagio for Strings“ schließlich transzendiert der Mensch in den zeit- und selbstvergessenen Zustand, aus dem er gekommen ist. Der Kreis schließt sich.

Keineswegs illustrativ sondern abstrakt geht Sutherland die Choreografie an. Er nutzt die energetische Ladung der Musik, verbindet sie streckenweise kongenial mit dem kreativen Formenreichtum seiner 14 Tänzerinnen und Tänzer. Wuchtige Schwünge, sportive Läufe, artistische Sprung- und Auffangvariationen kombiniert er mit fragmentierten Sink- und Fallbewegungen. Konditionell herausfordernd findet die Gruppe hin und wieder Ruhe, interagiert mit den Vierkantobjekten, verbindet sich damit zu einer Landschaft im Hintergrund oder einer Skulptur, die an Laokoon erinnert.

Diese Momente des Atemholens, fein abgestufter Dynamik und subtiler Brüche sind von großem ästhetischem Reiz. Zum einen, weil sie dem Betrachter Zeit geben Einzelne als individuelle Künstlerpersönlichkeit wahrzunehmen; bewundernswert sind Tanztechnik, Musikalität und Kondition aller, bestechen doch bei den Tänzerinnen jene, die schon lange mit Sutherland arbeiten - wie Camilla Marcati, Risa Yamamoto, Keiko Okawa - durch Präzision, Durchlässigkeit und einen Nuancenreichtum, der Staunen macht. Unter den Tänzern beeindruckt insbesondere die Performancequalität von Huy Tien Tran und Duncan C. Schultz, beide sind mit Sutherland neu ans Pfalztheater gekommen.

Zum anderen kann der Blick wandern. Zum Bühnenbild (Claus Stump) - eine zimmergroße schwarze Box auf dunkler Bühne. In ihr ist eine etwas kleinere Lichtbox verborgen. Beide werden, wie auch der dreiseitige, reflektierende Umlauf mit Neonstäben unabhängig voneinander, jedoch in Verbindung mit der Choreografie auf und ab bewegt. Licht und Raum in monochromen Tönen bilden mit dem Tanzensemble ein abstraktes Gesamtkunstwerk – auf der Suche nach der verlorenen Zeit, die einst eine zyklische war.

Fazit: Absolut sehenswert, nicht zuletzt dank des Orchesters des Pfalztheaters (Leitung: Uwe Sandner) und dem hervorragenden Violinsolisten Pierre-Eric Monnier.

 

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