„ZeitGeist“ von Éric Trottier
„ZeitGeist“ von Éric Trottier

Der nackte Körper – sonst nichts

„ZeitGeist“ – ein neues Tanzstück von Éric Trottier in der Mannheimer Trinitatiskirche

Ein emotionales Stück, zugeschnitten auf den spirituellen Raum.

Mannheim, 07/11/2017

Die Mannheimer Trinitatiskirche hat seit ihrer Umwidmung zum EinTanzHaus schon einige Aufführungen erlebt – aber das jüngste Stück „ZeitGeist“ ist das erste, von Éric Trottier mit Partnerin Daria Holme direkt vor Ort erarbeitet wurde. Es ist, so sagt der Mannheimer Choreograf selbst, sein bisher emotionalstes Stück geworden, eine Auseinandersetzung mit dem Tod. Seine Choreografie ist thematisch direkt auf den spirituellen Raum zugeschnitten: Der denkmalgeschützte Bau aus der Nachkriegszeit lässt sich als architektonische Verarbeitung der Kriegsgräuel interpretieren. Während die Besucher mit ungewohnter Tuchfühlung zum Nachbarn auf den ehemaligen Kirchenbänken sitzen, werden sie Zeugen der permanenten Bedrohung über der großen Tanzfläche: ein riesiger (Beton-?)brocken, der beim Herabstürzen alles Leben unter sich begraben würde.

So ist der Tod allgegenwärtig, während die Lebenden sich ihm auf der Bühne stellen müssen: mit Verdrängung, Rotzigkeit, Aufbegehren, Verzweiflung und gegenseitiger Zuwendung. Trottier lässt sich dazu viele getanzte Bilder einfallen, aber besonders eindrucksvoll wird es dann, wenn nichts mehr bleibt als die bloßen Körper. Am Ende werden die Kostüme abgelegt wie Schutzhüllen, die ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Nackt und schutzlos finden die sieben Tänzer nur noch gegenseitig Halt. Aufs Minimalste reduziert, als reine Torsi – Rückenansichten, bei denen Gliedmaßen und Köpfe verborgen bleiben – formen sie anrührende Körperketten. So verwischt die Sterblichkeit alle individuellen Unterschiede.

Zwei Bücher haben Trottier bei der choreografischen Arbeit beeinflusst, vor allem das viel diskutierte Buch „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ des französsischen Journalisten Antoine Leiris, der bei den Anschlägen im Bataclan seine Frau verlor, und „Cosmos“ von Michael Onfrey, der sich mit dem Tod jenseits religiöser Hoffnungen auseinandersetzt. Was an Hoffnung bleibt, ist die Gemeinschaft, die dem schutzlos gewordenen Einzelnen Halt gibt.

Sieben höchst unterschiedliche Darsteller hat der Chroeograf für sein La_Trottier Dance Collective engagiert, und die Besetzungsliste ist typisch für die sich mit Macht etablierende freie Tanzszene in Mannheim: Hiphopper Tobais Weikamp gehört zum Kern des Dance Collective; der Mannheimer Jonas Frey und Joseph Simon sind im Urban Dance verwurzelt und haben schon gemeinsame Projekte realisiert; Michelle Cheung und Julie Pécard kommen aus der Kompanie des ehemaligen Mannheimer Ballettchefs Kevin O’Day; Vera Vladiguerov ist aus der Dresdener freien Szene dazugestoßen; Evandro Pedroni hat mit Edan Gorlicki gearbeitet, dessen neuestes Stück ebenfalls im EinTanzHaus gezeigt wird. Fest in der Mannheimer Musikszene verankert sind Steffen Dix und Peter Hinz, deren elektronischer Soundtrack die emotionalen Färbungen der Choreografie ausleuchtet.

Hier im EinTanzhaus könnten sich auch in Zukunft kreative Kräfte der freien Tanz- und Musikszene im Rhein-Neckar-Raum bündeln; ein Anfang ist gemacht. Die Zukunft hängt – nicht nur, aber auch – von gesicherter finanzieller Ausstattung dieser so besonderen Spielstätte ab.

 

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