„From the Lighthouse“ von Lester René González Álvarez. Tanz: Timothée Cuny, Gianluca Sermattei, Marié Shimada, Gabrune Sablinskaite

„From the Lighthouse“ von Lester René González Álvarez. Tanz: Timothée Cuny, Gianluca Sermattei, Marié Shimada, Gabrune Sablinskaite

Oldenburg lässt die Puppen tanzen

„Drei Generationen“ bei der BallettCompagnie Oldenburg

Mit Choreografien von Lester René González Álvarez, Tanzdirektor Antoine Jully und Altmeister Alwin Nikolais entsteht ein abwechslungsreicher Tanztheaterabend.

Oldenburg, 16/11/2017

Den Auftakt macht der Jüngste. Lester René González Álvarez choreografiert „From the Lighthouse“ (Aus dem Leuchtturm) mit der eigens für dieses Stück komponierten Musik von Johann Pätzold. Álvarez, den man in Oldenburg bisher nur als Tänzer kennengelernt hat, lässt das Ensemble zu den anfänglichen Wellen-Wasser-Geräuschen und dem Lichtstrahl eines imaginären Leuchtturm, an der Bühnenrückwand in transparenten schwarzen Kostümen vorsichtig und zögernd die Bühne betreten. Zu einem härteren Rhythmus treten sie schließlich einzeln an den Bühnenrand, um sich dort hintereinander in heldenhaftem Roboter-Gestus kurz zu präsentieren.

Dann alternieren Gruppenchoreografien, Duos und Trios in einem ständigen Tempowechsel und ausgewogenem Spannungsbogen – von fließend zu dynamisch bis hin zu verträumt.
Álvarez arbeitet auch mit dem Bild der Kettenreaktionen, mit dem die einzelnen Körper immer wieder zu einem Fluss, einer Figur werden. Inhaltlich dreht es sich um Angst und um den Mut, aus sich selbst herauszutreten um zu wachsen. Dieses Thema zeigt sich in immer neuen assoziativen Bildern und mit einer interessanten und anspruchsvollen Bewegungssprache, die mitreißt und nachdenklich macht.

Die zweite Choreografie „Is this it?“ stammt von Antoine Jully, dem Direktor der BallettCompagnie Oldenburg. Das Duo (doppelt besetzt mit Nicol Omezzolli und Lester René González Álvarez) wird bei der Premiere von Eleonora Fabrizi und Timotée Cuny zu der berührenden Musik von Asaf Avidan getanzt. Der populäre israelische Folk-Rock-Musiker, dessen Gesang häufig mit dem Janis Joplins oder Robert Plants verglichen wird, wurde 2012 mit dem Hit „One day“ bekannt. Oft wechseln sich in seinen Songs Falsettstimme und tiefere Stimmlagen ab, was ihm den Namen „heiserer Engel“ gegeben hat.

Zu Avidans melancholischen Balladen lässt Jully einen Pas de deux einer modernen Beziehung tanzen, in dem ein Mann und eine Frau nie wirklich zueinander finden - ein unlösbar scheinendes Spiel von Nähe und Distanz. Mehr Tiefe, Spannung und weniger Gleichklang würde diese Choreografie sicher erhalten, wenn das Paar auch einmal kontrastreich gegen die Musik tanzen würde. Dazu wirkt die übermäßige Dramatik in Fabrizis Gestus und Mimik in Kombination mit der traurigen Musik wie illustriert.

Auf Jully folgt die Choreografie des Ältesten in dieser Runde. „Tensile In-volvement“ des 1993 verstorbenen Alwin Nikolais wurde 1953 in New York uraufgeführt. In Oldenburg wird die aufregende Choreografie vom „Vater des modernen abstrakten Balletts“ in der Einstudierung von Alberto Del Saz, Co-Direktor der Nikolais/Louis Foundation for Dance Inc. in New York, gezeigt. Bereits im vergangenen Jahr gab es mit dem fantastischen „Imago Suite“ eine gemeinsame Zusammenarbeit. Und auch „Tensile Involvement“ überzeugt mit farbenprächtiger Bildkraft, ganz im Sinne von Nikolais` interdisziplinärer Vorstellung vom „totalen Tanztheater“. Das Bühnenbild besteht aus elastischen Bändern, die quer über den gesamten Bühnenraum gespannt sind. Die TänzerInnen bewegen sich immer im Zusammenspiel mit diesen Bändern, die Lichtstrahlen aufnehmen und reflektieren. Dadurch entsteht in immer neuen Formen und beeindruckenden Verstrickungen eine Montage aus Körpern, Linien und Farben – ein faszinierendes bewegtes Fadenspiel - was den Tänzerinnen und Tänzern ein Höchstmaß an Körperkontrolle abfordert.

Zuletzt gibt es noch „Harmonic Language“ in der Choreografie von Antoine Jully. Dieses gefühlt längste Stück des Abends nach dem Streichquartett Nr. 4 von Béla Bartók hätte vielleicht besser nicht am Schluss gestanden. Jully stellt sich und seinem Ensemble keine leichte Aufgabe, insbesondere, weil er hier nicht erzählerisch arbeitet, sondern allein die Musik in Körperbilder, in „reinen Tanz“ übersetzen möchte. Schnelle Rhythmuswechsel und permanente Variationen erfordern eine besondere Tanzsprache um diese Musik einzufangen. So gibt er den Füßen mit unterschiedlichen Schritten, Drehungen und Sprüngen viele Aufgaben und auch der restliche Körper hat hier in einem wilden Tempo viel zu drehen, zu wackeln, zu klatschen oder zu flattern. Formal und dann wieder spielerisch wild ist Jullys Bewegungssprache und in den weißen Ganzkörperanzügen wirken die Tänzerinnen und Tänzer ein wenig wir Porzellanfiguren aus denen sich zuweilen merkwürdige Wesen, zwischen gefangen und frei, entpuppen.

Eine Stunde und 40 Minuten dauert „Drei Generationen“ inklusive zweier Pausen. An diesem abwechslungsreichen, prall gefüllten Abend ist quasi für jeden etwas dabei. Doch er wirft Fragen auf: Warum muss für jeden etwas dabei sein? Warum muss diese Fülle an einem Abend konsumiert werden? Es handelt sich doch nicht etwa um einen Wettbewerb? Und wenn auch Überfülle und Konsum in unsere Zeit passen, so müssen wir es dem Zeitgeist doch nicht immer gleichtun. Und ist es nicht am Ende so, dass weniger auch im Theater oft mehr ist - für Akteure wie für Zuschauer? Es sei denn, man sucht allein Zerstreuung.

 

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