„Le Sacre du printemps“ von Mario Schröder. Tanz: Lou Thabart

Tanzen gegen die Wand und geklonte Clowns

„Boléro“ (Walking Mad) von Johan Inger und „Le Sacre du Printemps“ von Mario Schröder beim Leipziger Ballett

Vor allem wegen der wieder mal grandiosen Tänzerinnen und Tänzer gelingen Bildsequenzen, denen man sich nicht entziehen kann. Das Publikum ist begeistert.

Leipzig, 05/02/2018

Ein paar Jahre sollten noch vergehen, bis die Große Sozialistische Oktoberrevolution in St. Petersburg ausbrach und Lenin am Schlaf der Welt rührte. Vorher schon rührte eine Ballettkompanie aus St. Petersburg an den Grundfesten des Balletts – die Ballets Russes. Eines der prägnantesten, revolutionären Beispiele ist „Le Sacre du Printemps“. Auch wenn zur Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett 1913 in Paris die Fetzen flogen, die Entrüstung des Publikums mitunter so laut war, dass die Tänzer die Musik nicht mehr hörten, der Komponist war mit einem Schlag berühmt. Den Misserfolg schrieb er dem Choreografen Vaslav Nijinsky zu. Aber auch er gilt, so wie Strawinsky als Komponist an der Schwelle der Moderne, als bahnbrechender Erneuerer des Tanzes. 1913 gastierten die Ballets Russes unter anderem in Leipzig, mit Vaslav Nijinsky, dem Clown Gottes, oder dem Gott des Tanzes. Auch für den Tanz komponiert, „Boléro“ von Maurice Ravel, 1928, Uraufführung des Balletts in Paris, Choreografie Bronislava Nijinska, für die Tänzerin Ida Rubinstein im Kreis von 20 Männern, damals auch nicht so ganz unumstritten.

Beide Werke haben seitdem immer wieder Choreografinnen und Choreografen zu Kreationen angeregt. Ravels sich dynamisch in der Orchestrierung, nicht im Tempo, steigernder, einfacher Rhythmus in Endlosschleife, auch den schwedischen Choreografen Johan Inger, zu einer seiner erfolgreichsten Choreografien, 2001 beim Nederlands Dans Theater uraufgeführt: „Walking Mad“. Jetzt erstmals in Leipzig. Auf Ingers Einstudierung folgt als choreografische Uraufführung „Le Sacre du Printemps“ von Ballettdirektor und Chefchoreograf Mario Schröder. Natürlich keine Tumulte wie einst in Paris. Ganz im Gegenteil, die Leipziger lieben ihr Ballett, lautstarke Zustimmung, die Art derselben hat sich ja gewandelt, damals wurde ausgepfiffen, heute gellen die Pfiffe als Signale der Zustimmung, was beim Ausmaß der Leipziger Premierenpfiffe aber doch schon das Maß der Bedenklichkeit erreichte.

Bei Ravels „Boléro“ ist ja das Tänzerische nicht zu überhören, die Herausforderung liegt natürlich in dieser dynamischen Endlosschleife der Wiederholungen. Johan Inger nennt sein Stück „Walking Mad“, und ganz schön verrückt, ziemlich schräg und auch ein bisschen traurig ist es auch. Eine verrückte Reise, bei der die Musik wichtig ist, aber eben nicht pur nachgetanzt wird, sie wird sogar einmal angehalten, bevor es dann unaufhaltsam ins Crescendo geht. Ein Mann, Clown oder Magier steigt aus dem Orchestergraben hoch, lüftet den Vorhang. Auf der Bühne eine Frau, dahinter eine Bretterwand. Die Wand ist immer da wo Menschen sind. Mal vor dem einen dann vor der anderen oder wie so oft im Leben, verflixt noch mal, dazwischen. Inger treibt den Tanz gegen die Wand, dahinter sind allerlei komische Gestalten, die bewegen das komische Ding und lassen die Bretter ganz schön tanzen. Mal kommen Männer aus der Wand mit roten Papiermützen wie komische Gartenzwerge und müssen vor den starken Frauen kuschen. Dann knallen sie das Hindernis um, machen daraus eine Bretterbühne, auf der sie ihren Boléro hinbrettern. Auf einmal ist die Musik weg. Fast aber nur, immer noch wie ein fernes Echo, kaum hörbar, das ist faszinierend. Aus der Wand wird ein Winkel. Menschen werfen zwei Schatten, das ist dann nicht mehr so komisch, eher kafkaesk. Dann, mit voller Kraft ins Boléro-Finale und darauf eine sanfte Verunsicherung: ganz zarte, fast spirituell anmutende Klavierklänge, „Für Alina“ von Arvo Pärt, dazu der Wanderer und die Frau vom Beginn, noch ein Versuch die Wand zu überwinden, klappt aber auch nicht, er springt einfach drüber, sie bleibt allein davor, ganz schön verrückt.

Das hat etwas von einem Satyrspiel. Die folgen ja sonst der Tragödie; hier folgt „Le Sacre du Printemps“ – das Frühlingsopfer, Bilder aus dem heidnischen Russland, ein grausamer Opferritus, ein Menschenopfer, uraufgeführt 1913. Ein Jahr später bricht der erste Weltkrieg aus und wird unzählige Menschenopfer fordern.

Mario Schröder macht es sich nicht leicht mit seiner Sicht auf dieses Werk. Sie ist sehr speziell und wie immer sehr persönlich, in einer gewissen Abstraktion, die auf die Handlung der Vorlage verzichtet und die Möglichkeiten eigener Assoziationen für das Publikum, so es bereit dazu ist, eröffnet. Bei Inger waren es drei Tänzerinnen und sechs Tänzer, fast ein Kammerspiel. Jetzt ist es fast das gesamte Leipziger Ballett, 36 Tänzerinnen und Tänzer, vornehmlich in großen, kraftvoll choreografierten Gruppen mit beängstigender, wie fern gesteuert wirkender Synchronität. Das ist bei Schröder eine Masse von Opfern, es gibt keine Persönlichkeit, keine Individualität, alle gleich gekleidet, Frauen und Männer, alle Clowns, nicht zu unterscheiden. Und doch, das ist immer wieder zu sehen, Angst und Einsamkeit sind so nicht zu bewältigen, die Clowns zittern, spaßig ist das ganz und gar nicht. Immer wieder lösen sich einzelne Tänzerinnen oder Tänzer, auch mal kleine Gruppen, aber die Masse schluckt sie wieder. Momente der Angst spielen eine Rolle, beängstigende Assoziationen werden provoziert, wenn sich eine schlotternde Masse auf der Flucht vor sich selbst auf einem Podest zusammendrängt, das von anderen wie ein Floß über die große, leere Bühne gezogen wird. Nur ein Tänzer setzt sich ab, geht fast unbemerkt beiseite, wischt sich die Farben der Maske vom Gesicht, legt das Clownskostüm ab und verlässt die Bühne, einfach so, er macht dieses Clownsspiel einfach nicht mehr mit. Bei wenigen anderen gibt es zaghafte Ansätze, sie bleiben aber, 35 geklonte Clowns, immerhin, einer weniger.

Vor allem wegen der wieder mal grandiosen Tänzerinnen und Tänzer gelingen Bildsequenzen, denen man sich nicht entziehen kann. Es spielt das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny. Strawinskys Ballettmusik könnte insgesamt noch etwas differenzierter klingen, beim Solisten Thomas Reinhardt am Fagott hört man wie das geht. Ravels „Boléro“ geht ja irgendwie immer, da muss aber unbedingt Steffen Cotta hervorgehoben werden, der Mann an der kleinen Trommel, und natürlich das hochsensible Spiel der Pianistin, Visnja Kirst, in „Für Alina“.

 

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