„New Creations“ von Jacopo Godani

Große Themen, große Bilder, grandioser Tanz

Mit „New Creations“ bricht die Dresden Frankfurt Dance Company auf zu neuen Ufern

„Unit Reaction“ und „Al Di Là“ von Jacopo Godani erleben an diesem zweiteiligen Tanzabend ihre Uraufführung.

Dresden, 22/02/2018

Keine Frage, die Dresden Frankfurt Dance Company hat sich in der Tanzwelt einen Namen gemacht. Der steht für zeitgenössischen Tanz in hoher Vollendung, für eine grandiose, international besetzte Kompanie. Mit Jacopo Godani als künstlerischem Leiter und Choreografen im Team mit Luisa Sanches Escarado ist sie von internationaler Bedeutung. Dennoch stellt sich die Frage, wie es möglich ist, immer wieder Neues zu entdecken, das Publikum zu überraschen und zu begeistern. Dass dies möglich ist, beweist die neueste Produktion mit dem programmatischen Titel, „New Creations“, zwei Stücke, am Ende ein sich ergänzender Abend.

Natürlich gibt es Wiedererkennungseffekte, das sollte auch bei jedem Choreografen, bei jeder Choreografin so sein. Auch bei der Musik des ersten Teils mit dem Titel „Unit Reaction“ hört man die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Komponisten Ulrich Müller und Siegfried Rössert, dem Kollektiv 48nord. Sie setzt ebenfalls eigene Maßstäbe. Und dennoch, Jacopo Godani vermag es immer wieder, selten aber so überraschend wie jetzt, neue Akzente zu setzen, trotz der Wiedererkennbarkeit seines Stils, den Tänzerinnen und Tänzern neue, bislang so nicht erlebte Möglichkeiten zu eröffnen bei jeweils erkennbarer, spezieller Förderung individueller Ausstrahlung. Er stellt sie hier in besonderer Weise in ein neues, von ihm kreiertes Licht, führt sie zu so noch nicht erlebbaren Formen des Ausdrucks, bei denen die Körper mit Klängen, Licht und Dimensionen des Raumes verschmelzen, zumal ihn die Tänzerinnen und Tänzer auch verändern, indem sie sich ihren Tanzboden unter den Füßen wegnehmen, um dann wieder neuen Boden und neue Freiheiten zu gewinnen.

So überzeugt in dieser ersten Kreation des Abends das Zusammenspiel von Klängen, Licht, Raum und Bewegung. Bei wechselnden Konstellationen gibt es spannende Momente und solche fast meditativen Innehaltens. Eine Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Wenn hier aber etwas erzählt wird, dann durch die Assoziationen für das aufmerksame Publikum. Hier werden Horizonte der Wahrnehmung immer aufgebrochen. Der Tanz kommt auf die Menschen im großen Saal des Festspielhauses Hellerau zu und schafft in ihnen Bewegung durch Berührung, so in einer Szene berührender Selbstverlorenheit eines einsamen Tänzers unter dem Licht eines leuchtenden Stabes, der sich herabsenkt. Tänzerische Kommunikation kann auch surreale Momente haben. Godani entwickelt eine bislang so noch nicht erlebte geheimnisvolle Sensibilität des Tanzes, solistisch, in Duos, in Gruppen, für die ganze Kompanie. Und da ist immer wieder Mut zur Stille, das macht auch die Musik von 48nord aus, mit ihren feinsinnigen elektronischen Streicherklängen, die am Ende schon so etwas wie eine Vorahnung der im zweiten Teil folgenden Komposition von Arnold Schönberg anklingen lassen.

„Al Di Là“, so der Titel der zweiten Uraufführung zu Arnold Schönbergs Streichsextett, „Verklärte Nacht“. Gemäß der Intention des Komponisten in der Fassung für Streichorchester, ein Werk in einem Satz, dennoch in der Struktur in fünf Teilen, die ineinander übergehen. Schönbergs Werk von 1896 folgt einer Anregung durch das gleichnamige Gedicht von Richard Dehmel. Gedicht und Musik haben immer wieder Choreografen angeregt. Zuletzt gab es 1999 in der Dresdner Semperoper eine Choreografie des Balletts der Staatsoper von Ralf Dörnen als Erlösungstraum eines Paares in eisiger, winterkalt erstorbener Landschaft. Godanis Choreografie für eine kleinere Gruppe der Kompanie folgt dieser Vorlage nicht, eher dem musikalischen Aufbau der Komposition. Seine „Verklärte Nacht“ gestaltet sich am Ende als liebevolle Einladung, neue Welten zu betreten, Dunkelheiten hinter sich zu lassen, Visionen zuzulassen, sich Stürmen auszusetzen. Dabei lässt er die Bühne zum Ort der optischen und der klingenden Poesie werden.

In der Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Matthias Bringmann entsteht ein temporäres Kunstwerk des Raumes, Korrespondenz zur momentanen Vergänglichkeit des Tanzes. Vielleicht ist Godani wieder bei einem seiner Hauptthemen: Gefahren und Chancen der Evolution. Denn wie sich aus tanzenden Wesen, die noch Reste ursprünglicher Natur an sich tragen und wie mystische Wesen wirken, Menschen in freier Körperlichkeit mit allen Chancen und Irrtümern entwickeln, lässt diese Assoziation zu.

Auch hier lässt sich der Choreograf auf die Musik ein, hat wiederum den Mut innezuhalten, sich den Klangbildern mit seiner Sprache tänzerischer Bewegungen zu stellen. Zu tänzerischen Höhepunkten werden ein fragiles Solo von Ulysse Zangs oder ein Pas de deux mit Anne Jung und David Leonidas Thiel, deren Namen hier bewusst stellvertretend für die Kompanie, in der man gerne mit Clay Coonar und Sam Young-Wright neue, jüngst erst hinzugekommene Mitglieder begrüßt.

Am Ende noch ein eindrucksvolles Schlussbild und eine Überraschung. Wenn nämlich die Menschen in der vermeintlichen Freiheit angekommen sind und ihre Verbindung zur Natur abgelegt haben, dann stellt sich die Natur mit ihren Gewalten gegen sie. Der Boden wird unsicher, wogt wie aufgepeitschtes Meer, mächtige Wellen drohen die Menschen zu verschlingen. Sie vermögen noch einmal die Gefahr zu bannen, sie reißen diese sintflutartige, ozeanische Bedrohung auf und wenden sich am Ende, zum musikalischen Epilog, betont liebevoll, vielleicht nicht ganz frei von feinsinniger, augenzwinkernder Ironie der Pflege ihrer kleinen Rasenstücke zu. Ganz große Themen, nicht ganz ohne Humor, noch eine Überraschung gestern Abend.

 

 

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