„Xenos“ von und mit Akram Khan

Sein Krieg ist unser Krieg

Akram Khan verabschiedet sich mit dem „Xenos“ von der Bühne

Eine positive Note bietet Akram Khan in seinem letzten Solo. Auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Der Choreograf feiert im Festspielhaus Hellerau nichts Geringeres als die menschliche Existenz. Nur aber eben nicht im Glanz der Sonne.

Dresden, 07/04/2018

Wenn sich ein Künstler von der Bühne verabschiedet, erwarten wohl nicht wenige ein Fest, eine positive Note. Die bietet Akram Khan in seinem letzten Solo. Auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Er feiert im Festspielhaus Hellerau nichts Geringeres als die menschliche Existenz. Nur aber eben nicht im Glanz der Sonne.

Die anfänglich entspannte Atmosphäre trügt. Ein indischer Trommler wird von Gesang begleitet. Das wirkt gemütlich. Nach nur wenigen Momenten allerdings zerstört Akram Khan in „Xenos“ (griech. „Gast, Fremder“) den Tisch auf der Bühne. Sein schneeweißes Kostüm bekommt augenblicklich Flecken. Es ist lose Erde, die auf der Bühne verstreut wurde. Bevor diese Beflecktheit wächst, noch mehr von diesem Schmutz dazu kommt, verschwinden die Requisiten allerdings langsam von der Bühne. Die Schaukel bleibt ungenutzt und reißt. Die fünf Stühle bleiben leer. Zurück bleibt der Tänzer, lost not in paradise, reduziert auf seine blanke Existenz, eine kleine Figur auf dem weiten, rötlichbraunen Boden.

Akram Khans bekannte Fusion aus indischem Kathak und zeitgenössischem Tanz findet hier, man darf sagen, wie immer zu beeindruckender Präzision. Die Einheit zwischen Live-Musik und scharf abgegrenzten Bewegungen ist ganzheitlich. Und aus dem Off erklärt eine Stimme, dies sei kein Krieg. Dies sei das Ende der Welt. Mit dieser bitteren Note verarbeitet der Tänzer vordergründig den Ersten Weltkrieg. Er verbindet ein dickes Seil mit einer Art Grammophon und verweist damit auf das Verlegen von Telefonleitungen während des Krieges, bei dem viele Kolonialsoldaten, die für die britische Seite gekämpft haben, ums Leben kamen. Das ist aber nur ein Vehikel für ein größeres Bild, eine weiter greifende Aussage.

Akram Khan zeigt, dass es nicht um das geht, was er zeigt. Es geht um das, was dahinter liegt, ganz am Grund der menschlichen Existenz. Mit Blick auf die Tatsache, dass dies seine letzte Arbeit ist, bei der er selbst auf der Bühne steht, macht ihn das ein bisschen zum Mahnenden. Er erhebt innerlich den warnenden Zeigefinger, bevor er abtritt.

Und bis dahin erzählt er von den Dingen. Kann ein Solo ein ganzes Weltentheater sein? Bei Akram Khan auf jeden Fall. Er erlaubt sich, als schwarzer Umriss im Gegenlicht zu performen. Damit löscht er sich als Individuum aus und gelangt zu seiner größeren Aussage. Der Mensch bleibt hilflos, tränenreich die Musik. Dona nobis pacem. Eine Wiedergeburt schließt dabei keinen Kreis, sondern führt die Leidenslinie einfach fort. Diese Gewissheit aber wiederum ist es, die jenes irdische Leiden zu einer wertfreien Tatsache werden lässt.

Mehrmals denkt man sich im Lauf des Stücks, das wäre jetzt ein schönes, sogar ein sehr schönes Schlussbild. Stattdessen geht er weiter. Diese Dramaturgie ist ausgezeichnet. Man sollte vorsichtig umgehen mit dem Begriff des „Meisterwerks“. Doch womit sich Akram Khan hier verabschiedet, ist schlichtweg ein Meisterwerk.

 

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