„Tod in Venedig“von Richard Wherlock, Tanz: Javier Rodriguez Cobos (Fotograf Aschenbach), Lydia Caruso und Rubén Bañol Herrera

Gut gelungener „Tod in Venedig“

Richard Wherlock choreografiert Thomas Manns berühmte Novelle fürs Basler Ballett

Nach John Neumeier anno 2003 hat nun auch Richard Wherlock den „Tod in Venedig“ in Tanz umgesetzt. Mit viel Farbe und nicht ohne Humor.

Basel, 16/04/2018

Gustav von Aschenbach ist ein renommierter Schriftsteller in München. Er gerät in eine Schaffens- und Sinnkrise, reist deshalb nach Venedig, wo er in einem Hotel am Lido unterkommt. Dort verfällt er dem Zauber des schönen polnischen Knaben Tadzio, hofft vergeblich auf Gegenliebe. Dann bricht in Venedig die Cholera aus, Aschenbach wird krank und stirbt. So der Inhalt von Thomas Manns 1912 veröffentlichter Novelle „Der Tod in Venedig“.

1971 machte Luchino Viscontis gleichnamiger Film mit Dirk Bogarde in der Hauptrolle Furore. Aber auch John Neumeier, Direktor und Chefchoreograf in Hamburg, reizte die Geschichte: 2003 kam sein Ballett „Tod in Venedig“ auf die Bühne, mit Lloyd Riggins als Aschenbach. Der ist Starchoreograf und verzweifelt an der Kreation eines Balletts über Friedrich den Großen. Neumeier wählte Stücke von J.S. Bach und Richard Wagner als musikalische Grundlage. Getanzt wurde und wird weitgehend auf neoklassischer Basis.

Richard Wherlock, seit 17 Jahren Chef beim Ballett Theater Basel, geht andere Wege. Er choreografiert fast ausschließlich zeitgenössisch. Und er legt seinem „Tod in Venedig“ eine Collage aus Werken von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) zu Grunde, die sich als überaus tragfähig erweist. Dazu gehören Sätze aus Sinfonien und Kammersinfonien des Komponisten, aus seiner Suite für Promenadenorchester, aus Opern-Zwischenspielen oder Musik zum Stummfilm „Allein“. Der musikalische Leiter Thomas Herzog bringt das Sinfonieorchester Basel zum Blühen – als Gesamtkörper wie auch in den vielen Soli. Erwähnt sei etwa Christina Bauer mit dem elegischen Andante-Satz aus Schostakowitschs Klavierkonzert Nr.2. Er bildet den Abschluss des „Tod in Venedig“-Balletts.

Die Figuren aus der Novelle deutet Wherlock ein Stück weit um. Gustav von Aschenbach (Javier Rodriguez Cobos), der berühmte Schriftsteller, wird zum Fotografen degradiert. Wir treffen ihn bei den Arbeiten während eines Mode-Shootings, mit Fokus auf ein hübsches Paar in Bikini und Badeslip. Und während Tadzio bei Thomas Mann ein zwar schöner, aber etwas kränklicher 14-jähriger Knabe ist, treffen wir nun auf einen kräftigen Boy (Anthony Ramiandrisoa) mit dunkelbrauner Haut, krausköpfig, breitschultrig, vergnügt und ein bisschen durchtrieben.

Einen höheren Stellenwert als in der Novelle bekommt bei Wherlock jener Wanderbursche (Frank Fannar Pedersen), der Aschenbach zur Reise in den Süden inspiriert und bald wieder verschwindet. Im Ballett bleibt er stetiger Begleiter des Fotografen. Wherlock bezeichnet ihn als „Engel“. Er verkörpert einen Teil von Aschenbachs zwiespältigem Charakter, ringt mit ihm, führt ihn zu Tadzio und hält ihn handkehrum wieder vor allen Berührungen mit dem (einseitig) Geliebten zurück. Gleichzeitig ist dieser „Engel“ aber auch der Gesandte des Todes, der seinen Schützling bis zuletzt begleitet. Bis hinein in die Fluten, in denen sich Aschenbach das Leben nimmt. Auch dieser Suizid ist Wherlocks Erfindung.

Javier Rodriguez Cobos, Frank Fannar Pedersen und Anthony Ramiandrisoa sind alle drei sehr starke Interpreten, die ihre oft halsbrecherischen Auftritte mühelos zelebrieren und sichtlich genießen. Rodriquez Cobos vermag auch die zerrissenen und peinlichen Seiten seiner Fotografen-Rolle auszudrücken. Etwa in der Manns Novelle entnommenen Szene, wo sich Aschenbach alt vorkommt und sich bis zur Lächerlichkeit „verschönern“ lässt.

Neben den drei dominierenden Tänzern vergisst Wherlock auch die Tänzerinnen nicht. Vor allem Tadzios Mutter (Ayako Nakano) besticht in ihren Auftritten durch Zartheit und Biegsamkeit. Dass sie sich zumindest in seinen Fieberträumen intimer mit Aschenbach einlässt – das würde Thomas Mann aber doch wundern. Wherlock setzt eben seine eigenen Akzente. Die Atmosphäre im Ballett ist ohnehin robuster, weniger abgehoben und weniger kunstsinnig als in der Novelle. Dafür sehr farbig.

Bewundernswert ist das Bühnenbild von Bruce French. Es setzt sich ganz unromantisch aus Glas, Stahl und Beton zusammen. Und erweist sich trotzdem als stimmungsvoll und verwandlungsfähig. Eine geschwungene Fensterwand wird zur Außengrenze von Studio, Schiff oder Grand Hotel, erlaubt Durchblick auf nordischen Regen oder südlichen Strand. Bewegliche Halfpipe-Stücke dienen als Gondel, Strandkabinen oder Hotelsessel.

Dieses dreidimensionale Bühnenbild weiß Wherlock für plastische Gruppen- und Massenszenen zu nutzen. Und deren gibt es viele, denn alle Mitglieder des Balletts Basel sollen ihre Auftritte haben. Dabei verzichtet der Choreograf natürlich auch im „Tod in Venedig“ nicht auf seinen britischen Humor. Da ist etwa der Hoteldirektor mit seinen pummeligen Angestellten in Uniform, die sich zu Schostakowitschs Jazz-Suite Nr.1 herum dirigieren lassen. Oder, schon etwas grotesk, die alten Ehepaare, die am Strand herum humpeln und Sandhügel formen. Szenen weit weg von Thomas Mann, aber beliebt beim Publikum. Es war begeistert von dieser Basler Premiere.

 

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