Über den Enthusiasmus der Ballettfans vor zweihundert Jahren

Ballerinenbadewasser in Fläschchen

Stuttgart, 14/08/2001

Das Stuttgarter Ballettpublikum ist tatsächlich weltberühmt. In keinem Theater des Erdballs werden die Tänzer so gefeiert wie im Stuttgarter Opernhaus. Wenn internationale Stars am Neckar gastieren oder Tänzer von außerhalb Stuttgarter Aufführungen besuchen, dann berichten sie daheim geradezu fassungslos von schier endlosen Beifallsstürmen, Blumenregen und Bravorufen, von denen sie zwar schon gehört hatten, die sie sich indes so ausufernd und intensiv nie hätten vorstellen können. Und so mehren sie den Ruhm der hiesigen Ballettfans. Wer sich im Ausland in einschlägigen Kreisen bewegt, der wird immer wieder gefragt, ob das Stuttgarter Publikum denn wirklich seinen Tänzern den Himmel auf Erden bereite.

Und doch ist das alles nur ein matter Abglanz jener Verehrung, die vor allem die großen Ballerinen früherer Zeiten erfahren haben - und zwar nicht etwa von ausrastenden, jugendlichen Fans, sondern von würdigen Herren der ersten Gesellschaft. Über Marie Anne Camargo und Marie Sallé dichtete Voltaire etwa im Jahre 1730: „Und wenn Nymphen dir gleich, o Camargo, tänzeln, tanzen Grazien allein würdig einer Sallé!“ Die berühmte Barbara Campanini („La Barbarina“) aus Parma wurde im Jahre 1743 an die Berliner Oper engagiert, machte sich aber mit Lord Stuart Worthley Mackenzie nach Venedig davon, worauf Friedrich der Große (neben anderen Bemühungen) die Gesandten Preußens, Frankreichs und Spaniens in Venedig in Trab setzte und gar den venezianischen Gesandten in London, der gerade in Preußen weilte, arretierte, um ihrer wieder habhaft zu werden. Schließlich wurde die Barbarina verhaftet und nach Preußen gebracht, wo sie auch tanzte. Voltaire, wohl wissend, dass Friedrich Frauen eigentlich nicht zugetan war, kommentierte dieses Ereignis so: „Der König liebte die Tänzerin, weil sie die Beine eines Mannes hatte.“ Die Anhänger der Ballerinen Marie Taglioni und Fanny Elssler waren sich um 1835 so spinnefeind, dass die „Taglionisten“ und „Elsslerianer“ im Theater regelrechte Saalschlachten und sogar Duelle ausfochten. Heinrich Heine (Elsslerianer) schrieb: „Nachdem Venus diesen Trottel, den Ritter Tannhäuser, aufgegeben hatte, tanzte sie ohne jeden Zweifel in der Opéra in Gestalt und unter dem Namen Fanny Elsslers.“ In Oxford wurde der Elssler die Doktorwürde verliehen, in Budapest musste ihr eine Kompanie Soldaten den Weg durch die Massen ihrer Bewunderer bahnen, in St. Petersburg wurden ihren Pferden die Mähnen abgeschnitten und daraus Fingerringe gefertigt, in Moskau musste sie ihre Vorstellung wegen der durch Blumen untanzbar gewordenen Bühne abbrechen und in Wien ihre legendäre „Cachucha“ an einem Abend zwanzig Mal wiederholen.

Als Fanny Cerrito im Jahre 1838 im italienischen Vicenza auftrat, machte ein Barbier ein Vermögen mit ihrem auf kleine Flaschen gezogenen Badewasser. Im Winter 1842 traten Taglioni und Cerrito an einem Abend in der Mailänder Scala auf. Daraufhin versuchten sich ihre Anhänger gegenseitig zu überbieten und lieferten sich einen Blumenwerfwettbewerb, der bis morgens um drei Uhr gedauert haben soll. In London wurde ihr ein Bukett im Wert von 270 Pfund Sterling mit einem Flaschenzug auf die Bühne gehievt. Als die Cerrito ihre Abschiedsvorstellung gab, wurden ihr 836 Girlanden und 1494 Buketts verehrt. Das größte Bukett soll 2576 Kamelien und 5876 weitere Blumen enthalten haben.

Die Berichte sind Legion, nach denen die außer sich geratenen, befrackten Herren den Ballerinen die Pferde ausspannten, um ihre Kutschen eigenhändig zum Hotel ziehen zu können. Im 19. Jahrhundert ging der Fanatismus gelegentlich so weit, dass die Anhänger einer Tänzerin kaum noch in deren Aufführungen gingen, sondern in jene ihrer Rivalin, wo sie dann Zeitungen lesend und laut redend ihre Langeweile demonstrierten.

Solche Zuneigung hat für die Verehrten nicht nur angenehme Seiten. Dame Margot Fonteyn, die unvergessene britische Ballerina (1919 - 1991) berichtet in ihrer Autobiografie „Die zertanzten Schuhe“ von einem Fan, der ihr in die ganze Welt nachreiste, beinahe jede ihrer Vorstellungen besuchte und immer Blumen auf die Bühne warf. Und weil der Abstand zwischen der Bühne und seinem Sitz oft sehr groß war, landeten viele dieser Sträuße im Orchestergraben. Also verfiel er auf die Idee, sie mit einem Stein zu beschweren. Von da an sei es ihre größte Sorge gewesen, schreibt Fonteyn, herauszubekommen, wo dieser Herr saß, um seinen gefährlichen Wurfgeschossen ausweichen zu können.

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