Out of the Blue

Eine Tanzperformance von Mia Lawrence

München, 13/12/2001

Leute kommen, Leute gehen; Geschirr klappert, Kaffee läuft zischend aus der Maschine. Nur eine italienische Bar ist lauter als ein amerikanischer Coffeeshop in München. Mia Lawrence scheint das nicht zu stören. Sie sitzt aufrecht, gelassen und entspannt an einem Zweiertisch. Eine Saftflasche „to go“ steht neben ihr, der Milchkaffee ist noch heiß. Sie mag den Coffeeshop nicht nur wegen des amerikanischen Flairs, das sie hier umweht, seitdem sie die USA verlassen hat. Ja, es ist kaum zu glauben: Eine Choreografin aus New York kennt weltweit kein interessanteres Ziel als ausgerechnet München und fliegt non-stop hier ein, um in Bayern ein Stück zu machen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein, und es ist auch nicht wahr.

Die New Yorkerin in München näherte sich ihrer neuen Heimat behutsam an, im Nachhinein freilich stellen sich diese Etappen als bedeutsam für ihre Karriere heraus. Selbst der Coffeeshop ist mehr als nur ein rückwärtsgewandter Nebenschauplatz in ihrem Leben. In einem Coffeeshop beschloss Mia Lawrence, in München zu bleiben. Die Alternative war nicht New York, sondern - Salzburg. Dort verbrachte sie die letzten Jahre, nachdem sie Amerika verlassen hatte. Unterrichtete im SEAD, der Schule von Susan Quinn (auch einmal eine amerikanische Wahlmünchnerin) und lernte die Malerin Karina Pérez Aragón aus Argentinien kennen, die nun beim neuesten Stück von Mia Lawrence mitwirkt.

„Out of the blue“, das heute im i-camp uraufgeführt wird, ist ihre siebte abendfüllende Produktion. Für das in New York entstandene Solo „Kyrias“ erhielt sie 1998 den Bessie Award. Da hatte sie bereits eine erste Kooperation zwischen München und New York vorgelegt: In beiden Städten erarbeitete sie „close as I am“, das bei der Münchner Tanzwerkstatt Europa im Sommer 1996 Premiere hatte. Damals war sie fast ständig zwischen Amerika und Europa unterwegs. Tanzte, unterrichtete - ihren ersten Workshop in Europa gab sie im übrigen auch in München.

Mia Lawrence ist als Dozentin für zeitgenössischen Tanz, Yoga und Reiki gefragt. Sie unterrichtete unter anderm bei P.A.R.T.S., der Schule von Anne Teresa de Keersmaeker in Brüssel, bei den Wiener Tanzwochen, der Tanzwerkstatt Europa, bei Sasha Waltz. Den modischen Begriff „Release“, mit dem ihr Stil verbunden wird, jene relaxte, fließende Art zu tanzen, die mit dem Atem einhergeht und unnötigen Kraftaufwand vermeidet, will sie lieber nicht verwenden. Sie bezieht sich auf Körperwahrnehmung und Yoga. Was bemerkenswert ist. Denn in New York war Mia Lawrence Tänzerin in der Kompanie von Stephen Petronio, der seine harte, schnelle, artistische Performance einmal wie einen kraftvoll-stotternden Rap beschrieben hat: Ein Verb folgt direkt auf das nächste Verb. „Bei Petronio begann mein Training“, sagt Mia Lawrence, „er war Schüler von Steve Paxton und Trisha Brown, und mit dieser Tradition wuchs ich als Tänzerin auch auf.“ Lawrence, die erst nach dem Studium der englischen Literatur zum Tanz gefunden hatte, will bei Petronio virtuos und technisch perfekt sein, erst allmählich interessiert sie sich für Emotionen und die Energie von Bewegungen. Nach acht Jahren verlässt sie die Kompanie: „Wir waren auch sehr enge Freunde, ich hatte dann das Bedürfnis rauszugehen.“ Vor zwei Jahren war sie das letzte Mal in New York; seit dem 11. September, so stellt sie fest, „beschleicht mich immer stärker das Gefühl, dass es doch etwas damit auf sich hat, wo man geboren wurde.“ Sie mag die Energie von New York, aber nicht den konstanten Druck, die permanente Stimulation. Es ist schwer, dort zu arbeiten. Probenraum ist äußerst knapp. Wie in München. Weiß sie von Rui Horta? Der hat nicht zuletzt deswegen das Handtuch geworfen, weil sich ihm - obwohl in Residenz an der Muffathalle - keine Perspektive für einen eigenen Platz zum Trainieren und Proben bot.

In der Tanztendenz kann Mia Lawrence nur mit einem Vorlauf von 24 Stunden ein Studio buchen - wenn es frei ist. Bei den „Freitänzern“ hat sie sich eingemietet und „das große Glück gehabt“, kostenlos bei Mandolin Motion unterzukommen. Den aufreibenden Existenzkampf, den Tänzer und Choreografen fast überall führen müssen, kennt sie zur Genüge aus New York. Doch erscheint er ihr - verglichen mit dem europäischen - , trotz mangelnder öffentlicher Gelder dort leichter zu führen als hier. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Austausch größer ist, wenn alle keine Unterstützung bekommen. Die Solidarität ist dann höher. Und die macht es leichter, in New York ein Solo ohne Geld vom Staat zu machen als hier ein Gruppenstück mit Unterstützung.“ So hat sie denn auch die drei Tänzer, die sie für ihre Münchner Produktion „Out of the blue“ engagieren wollte, auf zwei - Anna Holter und Manfred Kröll - reduziert. Dafür tanzt sie selbst mit und löst die Probleme, die sich ergeben, wenn die Choreografin zugleich Tänzerin ist und ihr Stück deswegen nie „von außen“ sehen kann, indem sie solistisch auftritt. Auch mit Anna Holter und Manfred Kröll entstand das Stück so, wie sie es für sich alleine machen würde: „Mit viel Zeit zum Improvisieren und intuitivem Arbeiten, wodurch man etwas entdecken, enthüllen kann.“ Bislang hat sie oft verschiedene Medien miteinander kombiniert, hier bringt sie nun die Live-Malerei von Karina Pérez Aragón und den Licht-und Sound-Mix des französischen Tänzers und Multimediakünstlers Jeanluc Ducourt zusammen mit ihrem Tanz und ihren Texten: Die Texte geben die Zusatzinformationen zu dem abstrakten, am Bewegungsfluss orientierten Tanz, sie sind der Schlüssel zu seinem Verständnis, sagt sie.

Sich mit Texten zu beschäftigen war für Mia Lawrence ein notwendiger Schritt, zugleich ein befreiender Augenblick. „Als ich mal zur selben Zeit tanzte und redete, wurde mir bewusst, dass alles, was ich je getanzt hatte, da war. Ich will nichts Neues machen, weil alles schon mal gemacht worden ist.“ Anders als ihre Kollegin Sarah Chase, mit der sie während mehrerer „Sommerszenen“ in Salzburg zusammentraf, erzählt Mia Lawrence keine Geschichten, sondern will mit ihren Textfragmenten anregen, sich selbst wahrzunehmen. Sozusagen dem eigenen Skelett auf die Spur zu kommen, das uns überleben und Forschern darüber Auskunft geben wird, was wir gemacht haben. Denn der Körper, sagt sie und nippt am kalten Milchkaffee, verleugnet nichts, keine Erfahrung, keine Erinnerung.

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