Wo liegen Colmar, Mulhouse und Strasbourg?

oe
Stuttgart, 15/05/2001

Diese Amerikaner! Manchmal hat man wirklich den Eindruck, sie lebten in einer anderen Welt! Da lese ich im Mai-Heft des amerikanischen „Dance Magazine“ („The World´s Leading Dance Publication“ – da sieht man, wie geradezu bescheiden wir in Deutschland es doch mit „Europe´s Leading Dance Magazine“ halten) in der Kategorie „Summer Guide 2001“ unter Germany: Colmar, Ballet de l´Opera National du Rhin – und weiter Mulhouse, Ballet de l´Opera National du Rhin – und nochmals Strasbourg, Ballet de l´Opera National du Rhin – das Elsass also praktisch eingemeindet in Groß-Germany.

Hitler würd´s freuen! Mich allerdings wurmt´s mächtig. Nun glaube ich zwar weder, dass das Ballet de l´Opera National du Rhin seine Pläne mit deutschem Poststempel nach Oakland, CA, expediert hat, noch, dass irgendein deutscher Franzosenhasser (soll es ja noch immer geben) die Fehlmeldung lanciert hat. Gleichwohl charakteristisch für die sehr unterschiedlichen Kenntnisse und Einschätzungen diesseits und jenseits des Atlantik erscheint mir der Vorfall schon. Ich merke es immer wieder, wenn ich Meldungen an die Redaktion von „Dance Magazine“ über hiesige Ereignisse gebe, dass sie dort auf totales Unverständnis stoßen – einmal ganz abgesehen davon, dass sie dort ganz und gar nicht verstehen, was es mit den Berliner Verhältnissen auf sich hat (aber ich gebe gern zu, dass auch ich damit meine Schwierigkeiten habe).

Erstaunt bin ich aber auch immer wieder über die sehr unterschiedliche Bewertung von Persönlichkeiten und ihren Produktionen: die Glorifizierung von Mark Morris drüben und die große Skepsis andererseits dem Oeuvre von van Manen und selbst auch Kylián gegenüber.

Jüngster Fall: die total konträre Einschätzung von Morris´ Bachschen Kirchenkantaten – geradezu hymnisch in Amerika und einhellig vernichtend, und zwar sowohl von musikalischer wie von choreografischer Warte aus, beim Gastspiel in Luzern. Vielleicht sollten wir ja doch einmal eine Debatte starten über die unterschiedlichen Erwartungshaltungen von Publikum und Kritik dies- und jenseits des Atlantik – sie scheinen mir jedenfalls wesentlich ausgeprägter zu sein auf dem Gebiet des Tanzes als auf den Nachbarschauplätzen von Literatur, bildender Kunst und Film!

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