Keine vier Dimensionen

Tanz im August: „4D“ in der Staatsoper Unter den Linden

Berlin, 22/08/2005

Dieser mit „4D“ betitelte Abend in der Staatsoper Unter den Linden sollte der Beginn einer längerfristig geplanten Zusammenarbeit zwischen dem Staatsballett Berlin und zeitgenössischen Tanzkonzepten sowie „Ausdruck der gewachsenen gegenseitigen Neugier“ sein. Es war der einzige Abend des „Tanz im August“, der in der Staatsoper stattfand, somit deutlich mehr - und auch anderes - Publikum ansprach als die anderen Festivalveranstaltungen. Die Zusammenstellung des Programms war konsequent: Vladimir Malakhov sollte als Vertreter des klassischen Balletts in einem Überraschungssolo auftreten, weiter die Vertreter der Avantgarde Jérome Bel, Eszter Salamon und Xavier Le Roy sowie Deutschlands bekanntester Gegenwartschoreograph William Forsythe.

Nun trat aber Vladimir Malakhov mit der beim „Tanz im August“ üblichen Verspätung von etwa 20 Minuten vor das Publikum, um seinen Auftritt aufgrund einer kürzlich überstandenen Blinddarmoperation in wenigen Sätzen abzusagen. Völlig unverständlich ist, dass kein anderer Tänzer aufgeboten wurde, um das Ballett an diesem Abend zu repräsentieren - wenn schon nicht einer der Solisten des Staatsballetts, dann eben ein anderer klassischer Star. Wie oft passiert es, dass Tänzer sich kurzfristig verletzen und man binnen Stunden Ersatz einfliegen muss! In diesem Fall wären sogar mehrere Wochen Zeit gewesen, um das Konzept des Abends zu retten. Stattdessen wirbt man weiter mit dem Namen Malakhov und nimmt bewusst in Kauf, das Publikum zu enttäuschen.

Salamon/Le Roy, Bel und Caspersen/Forsythe mussten also den Abend alleine gestalten. Jérôme Bel, der Ballett nicht ausstehen kann, sich aber trotzdem zwei Jahre lang jede Vorstellung an der Pariser Oper ansah, choreographierte das Stück „Véronique Doisneau“ für die gleichnamige Tänzerin der Pariser Oper. Die 41jährige, die es nicht geschafft hat, „Étoile“ zu werden, erzählt von sich und ihrer Familie, wieviel sie verdient, welche Choreographen sie mag und welche nicht. Sie tanzt Ausschnitte aus Cunninghams „Points in Space“ ihrer Traumrolle „Giselle“ und „La Bajadère“, zu der sie die Musik summt. Sie atmet erschöpft, trinkt Wasser, zieht ihre Spitzenschuhe aus und an, kurz: sie konfrontiert den Zuschauer mit der unsichtbaren Seite des Balletts, mit all dem, was bei der Aufführung auf der Bühne verborgen bleibt. Den Höhepunkt bilden Ausschnitte aus Schwanensee, und zwar aus der Rolle eines der Nebenschwäne, die über viele Takte hinweg wie versteinert in einer Pose ausharren müssen und deren Hauptfunktion es ist, das schöne Gesamtbild zu schaffen und die Startänzerin ins beste Licht zu rücken.

Die Idee zu dieser Choreographie, die „Sujet“-Tänzerin einmal zum Star zu machen, ist gefällig und die feine Selbstironie, mit der Doisneau agiert, hat etwas Berührendes. Andererseits besteht kein Anlass, von der Problematik einer Künstlerin, die nicht eine der ganz Großen geworden ist, allzu viel Aufhebens zu machen, denn dieses Problem stellt sich natürlich in allen Kunstsparten ständig. Immerhin hat Doisneau es bis an die Pariser Oper geschafft. Bei Jérôme Bels Choreographie handelt es sich weniger um eine Dekonstruktion des klassischen Balletts als um relativ vorhersehbare Ideologiekritik.

„Giszelle“ von Estzer Salamon und Xavier le Roy, ist ein Solo, das mit der Musik von „Giselle“ beginnt und endet. In den dazwischen liegenden fast dreißig Minuten hört man aber nur ab und an Salamons Stimme. In Jeans, rosa T-Shirt und Turnschuhen zeigt die Tänzerin verschiedene Bewegungsarten, die unter anderem die Evolution des Menschen markieren. Pantomimisch gekonnt imitiert sie die Bewegungen eines Affen. Ihre Gestik überzeugt auch dann, wenn sie eine Frau auf Stöckelschuhen, klassisches Ballett, Forsythe´schen Tanz, Michael Jackson, einen Boxkampf, Schuhplattler, Fußball oder Fechten darstellt. Insgesamt jedoch ist das Stück deutlich zu lang, und auch wenn die erarbeiteten Szenen gegen Ende immer schneller ineinander übergehen, bringen sie letztlich nichts Neues mehr.

Das Abschlussstück „The The“, das Dana Caspersen und William Forsythe 1995 für das Holland Dance Festival choreographiert haben, wird von Christine Bürkle und Jone San Martin überzeugend interpretiert. Präzise, isolierte Bewegungen, schnelle und ästhetische Verknotungen. Die angespannten Glieder finden Entspannung, die Verdrehungen lösen sich.

Drei nicht uninteressante Stücke, doch ohne den angekündigten Gegenpol des klassischen Balletts macht dieser Abend keinen Sinn. So ist ein beträchtlicher Teil des Publikums zu Recht enttäuscht und verärgert.

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