Balanchines „Jewels“

vom Kirow-Ballett St. Petersburg

oe
München, 28/09/2001

Absurd, dass sich das Ballett des St. Petersburger Marientheaters zwecks internationaler Vermarktung noch immer seines sowjetischen Funktionär-Namensspatrons bedient! Im Münchner Prinzregententheater (das Nationaltheater wird wieder einmal renoviert) tanzten die St. Petersburger vier Vorstellungen von Balanchines 1967 fürs New York City Ballet kreierten „Jewels“ – seine Huldigung an Petipa und den französisch-russischen Nobelklassizismus, der seine Jugend- und Formationsjahre geprägt hat (mehr französisch in „Smaragd“ und mehr russisch in „Diamant“) und dessen Anverwandlung und Weiterentwicklung in seinem eigenen Amerikaklassizismus („Rubin“).

Eine eigenartige, geradezu schizophrene Erfahrung: diesen russisch-amerikanischen Klassizismus nun nach St. Petersburg reimportiert und von den Torhütern des St. Petersburger Nobelklassizismus zelebriert zu sehen – und zwar in einer Weise, die sie, sämtlich Vertreter der jüngeren Generation (mit Schanna Ajupowa und Viktor Baranow, Veronika Part und Dmitry Semionow, Diana Wischnjowa und Andrian Fadejew, Swetlana Sacharowa und Igor Zelenski als Stars) wie die russischen Vettern ihrer amerikanischen Kollegen vom New York City Ballet erscheinen lässt.

Drei einzelne Ballette also als abendfüllendes Programm, ohne Handlung, ohne jeden anekdotischen Aufhänger, als reine choreografische Reflexion wie Balanchine die Eigenschaften der einzelnen Edelsteine sieht und der Musik, die er ihnen zugeordnet hat (Fauré-Smaragd, Strawinsky-Rubin, Tschaikowsky-Diamant): der Tanz ist der Tanz ist der Tanz – und die Musik. Das ist Balanchines fundamentalistisches Glaubensbekenntnis. Etwas für Tanzpuritaner, zu denen ich mich nicht rechne. Und so staunte ich denn, dass mir die Augen übergingen ob dieser endlosen Folge von Corps-Tänzen, Pas seuls, de deux, de trois, de quatre, d´action und de caractère – und wie sie von diesen wunderbaren Tänzern makellos präsentiert wurden (leider mit jener enervierend lauten Spitzentechnik in den Boden gestampft, die jeden ihrer Schritte wie Kastagnettengeklapper erscheinen lässt).

Und wurde doch richtig froh nur im Rubin-Abschnitt mit seinen frechen Amerikanismen à la „Vier Temperamente“ und „Western Symphony“, als Demonstration von Balanchines Behauptung, dass das klassische Ballett des 20. Jahrhunderts eher in der Neuen Welt als im nostalgisch seiner ruhmreichen Vergangenheit nachsinnenden Russland zu Hause ist.

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