Ballet du Nord mit Choreographien von Maryse Delente

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Ludwigsburg, 22/02/2002

War das Ballet du Nord schon einmal in dieser Gegend? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Es gehört zu den 19 choreographischen Zentren in Frankreich und residiert in Roubaix, einer nordfranzösischen Industriestadt, die mit Lille und Tourcoing zusammengewachsen ist. 1983 gegründet, lange von Alfonso Cata, dann von Jean Paul Comelin geleitet, untersteht es seit 1995 der Direktion von Maryse Delente, Jahrgang 1949, die sich inzwischen auch außerhalb Frankreichs als Choreographin einen Namen gemacht und mit ihrer ausschließlich barfuß von Frauen getanzten „Giselle & Co.“ seit 1997 einiges Aufsehen erregt hat.

In Ludwigsburg standen drei Stücke auf dem Programm: „El Canto de Despedida“ (Gesang des Abschieds) zu Gitarren-Flamenco-Musik von Gino d‘Auri und Paco Peña für sieben Tänzerinnen, ein Männer-Duo „Les Cheveaux du temps“ (Die Pferde der Zeit) zu Musik von Spike und Strawinskys „Sacre du printemps“. Der „Canto de Despedida“ versteht sich als „Hommage an alle durch die Gewalt des Krieges in Körper und Seele tief verletzten Frauen“, wird aber von Männern mit nackten Oberkörpern und weiten schwarzen Röcken getanzt.

Ohne die Programmheft-Erklärung käme wohl kaum jemand auf die Idee, dass es sich bei dieser ausgesprochen männlich determinierten Choreographie um ein Ballett über die Leiden der Frauen handelt. So ist der erste Teil des Programms ganz den Männern vorbehalten. „Sacre“ ist dann für sechs Frauen eingerichtet – mit einem im Hintergrund stumm sitzenden Mann, der teilnahmslos das Geschehen verfolgt und am Ende die Opferfigur gleichsam in sich aufsaugt – eine Puppe, wie sich herausstellt, wie von Duane Hanson modelliert.

Delente choreographiert in einem kraftvollen, energetisch aufgeladenen Modern-Mix-Stil im leeren Raum, durchschossen von Scheinwerferkegeln, mit Hockern und Bänken als einzigem Dekor, die Teil der Choreographie sind. Ihre Lieblingsfarben sind schwarz und rot. Sie bevorzugt Parallelen und spiegelbildliche Arrangements, komplementäre Zweier- und Dreiergruppen. Sie ist eine ausgepichte Ästhetin und Formalistin und arbeitet ziemlich unabhängig von der Musik – was bei Strawinsky mehr auffällt als in den beiden anderen Stücken, wie denn überhaupt Strawinsky mit den sechs Damen in flammendem Rot, von denen eine ausgegrenzt wird, am unbefriedigendsten bleibt, weil allzu beliebig und ohne sonderliche Höhepunktsteigerung. Von Frühling nicht die Spur!

Die Gruppe tanzt phantastisch synchron und in perfekt aufeinander abgestimmter Harmonie, doch die Unisex-Choreographie wirkt auf die Dauer ziemlich ermüdend. Das Männer-Duo erinnert ein bisschen an japanische Exercises im Bogenschießen. Nicht uninteressant, aber auch keine besonderen Überraschungen!

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