Igor Strawinsky Ballettabend

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Düsseldorf, 12/04/2002

Ein Labsal, dieser neue Düsseldorfer Strawinsky-Ballettabend. Zunächst einmal musikalisch, Strawinsky zu verdanken, aber auch dem Dirigenten Stéphane Denève und den Düsseldorfer Symphonikern, die den Partituren nichts an Energie und rhythmischem Pep schuldig blieben. Dazu zwei ausgesprochen komplementäre Stücke: „Petruschka“ als Winterballett und „Sacre du printemps“ als Frühlingserwachen.

Eine schöne Idee auch die Wiedereinstudierung von Erich Walters „Petruschka“ im Jahr, da er seinen 75. Geburtstag hätte feiern können (wann wäre je eine Berliner Ballettdirektion auf die Idee gekommen, eine Tatjana Gsovsky-Choreografie erneut zur Diskussion zu stellen?). Ein richtiges Erzählballett mit tollen Rollen vor der wunderbar die spezifische, winterliche St. Petersburger Karnevalsstimmung evozierenden Stadtkulisse von Jorge Villareal (mitsamt den Kostümen von Gerda Zientek und der Beleuchtung von Klaus Gärditz). Von Walter mit ausgesprochener Liebe für die einzelnen Charaktere und die Gruppenformationen, und dazu musikalisch ausgesprochen feinhörig choreografiert.

Dazu eine exquisite Besetzung: Jörg Simon als so anrührend hilfloser Herz-Schmerz-Petruschka, der kokett ihre Reize ausspielenden Maria Antonova als Ballerina und dem seine animalischen Instinkte so zähnefletschend auslebenden Mohr von Jhane Hill (wann wird jemand der politischen Korrektheit zuliebe fordern, den Mohr in Farbigen oder Schwarzen umzubenennen?). Dazu die exakt profilierten Chargen und die wuchtigen Corps-Blöcke. Gewiss, das Entstehungsjahr der Produktion 1983 ist der Wiederaufnahme anzusehen, doch was tut‘s, wenn sie so exakt von Wolfgang Enck, Monique Janotta und Falco Kapuste, den verdienten Walter-Kämpen, auf ihren stimmigen Strawinsky-Walter-Punkt gebracht wurde. Eine schöne, ehrerbietige (gibt‘s das Worte heute überhaupt noch?) Huldigung an den so früh verstorbenen Choreografen, der in Wuppertal und Düsseldorf in den fünfziger bis achtziger Jahren einer der musikalisch anspruchsvollsten und feinsinnigsten Wegbereiter des deutschen Nachkriegsballetts war.

Und danach dann also Düsseldorfs heutiger Ballettchef Youri Vámos mit „Sacre“, dem Ballett der Saison. Von ihm als eine Art Frühlingserwachen abseits von Wedekind interpretiert, als eine Konfrontation von Jugendlichen und Erwachsenen – aber dafür nicht genügend choreografisch differenziert. Bühnenbild und Kostüme stammen wieder – wie stets bei Vámos – von Michael Scott, der Tänzer immer so sexy an-, beziehungsweise auszuziehen versteht, mit einem recht pappig wirkenden Vulkan als Hintergrundkulisse, in dem die Tänzer laufend verschwinden, um dann wie aus einem Jungborn daraus wiederaufzutauchen – eine ziemlich abstruse Idee, vielleicht ja aus der eruptiven Force der Musik abgeleitet. Außerdem bietet sie viele Möglichkeiten zum Kraxeln und Hinuntergleiten, was ja in dieser Spielzeit offenbar sehr in ist (siehe Spoerlis Engelswand in Zürich und Schlömers Wellness-Wannenfreaks in Köln – nicht zu vergessen schließlich Pina Bauschs „Komm, tanz mit mir!“ in Wuppertal).

Vámos‘ Interpretationserklärung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Aber das ist auch nicht unbedingt nötig, denn es passiert tänzerisch viel und das Auge ist ständig beschäftigt. Die großen Gruppenensembles sind klar strukturiert, bilden wie Kristallisationsprozesse immer neue Formen aus und entwickeln einen kumulierenden Drive, die drei Solisten, das junge Paar von Kaori Morito und Michal Matys und der muskelgestählte Igor Antonov tanzen mit Hochspannungsbravour – und so gehört dieser finale „Sacre“ der Saison (so hofft man jedenfalls) durchaus zu den ansehnlicheren Produktionen an unseren plötzlich so „Sacre“-süchtigen Bühnen.

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