Ballettabend „Die Gezeitengänger“

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Augsburg, 29/03/2003

Auf der Rückreise von der Münchner Ballettwoche Augsburg eine Stippvisite abgestattet. Hier wirkt seit 1999 Jochen Heckmann, Jahrgang 1968, als Chef des Ballett-Theaters Augsburg, über dessen Arbeiten (erstaunlich oft im Ausland) man in Insider-Kreisen immer mal wieder Positives hört – aber so gut wie nie etwas in den großen Zeitungen liest, geschweige denn in „europe‘s leading dance magazine“. Darüber ist er – na ja, nicht gerade verärgert (denn er ist sich der Schwierigkeiten in der heutigen Presselandschaft durchaus bewusst), aber es wurmt ihn verständlicherweise – zumal „wir erfolgreich arbeiten, was den Zuspruch des Publikums und der lokalen Presse betrifft“.

Eine Freitagvorstellung im Abonnement. Das Haus vielleicht zu zwei Dritteln besucht. Die Stimmung eher neutral (der Unterschied nach zwei Abenden München ist doch ziemlich frappierend). Ein dreiteiliger Ballettabend „Die Gezeitengänger“. Schon vor der Pause erstaunlich langanhaltender Beifall – zum Schluss noch länger. Mein Eindruck: eher gemischt! Ein bisschen Aufwärm-Getanze vor dem auf der Bühne platzierten Stehgeiger-Ensemble um den Dirigenten Wolfgang Weber zu einem Schnittke‘schen Mozart-Verschnitt. Kein Verständnis habe ich für die englischen Texte deutscher Autoren wie Hermann Hesse, deklamiert von einer Figur „Die Zeitlose“ (Georgia Carter). Die zeitlose Dame ist offenbar eine Zeitreisende (gewandet wie Donna Anna in „Don Giovanni“) – und um ein Hin und Her zwischen den Zeiten geht es auch in dem Duo „Transpass“ (Musik von Haydn und Biber – ursprünglich von Heckmann für sich selbst und Serena Pettinari choreografiert, getanzt an diesem Abend von Ema Kawaguchi und Costel Georgescu) im Schotten-Look, den ich mir nicht recht erklären kann, doch in den Verschränkungen des Paares, oft am Boden, nicht uninteressant.

Darauf folgt „Rasender Stillstand“ zu Jacob de Veldhuis „Goldrush Concerto“, eine ausgesprochen stimulierende Musik, wobei das Philharmonische Orchester Augsburg hinter einem Gitter auf der Bühne sitzt. Wieder diese hochtrabenden, Zeit und Ewigkeit beschwörenden anglodeutschen Texte. Eine Figur, Der Bote, ein Paar rechts, eins links und ein mittiges Paar. Ich habe große Konzentrationsschwierigkeiten, entdecke immer wieder, wie ich abschalte – und verstehe nichts! Fesselnder dann der vom ganzen Ensemble (12 Tänzer?) getanzte dritte Satz in einem schnittigen modern-klassischen Stil. Da sieht man, Heckmann kann mit großen Gruppen umgehen, klar strukturieren und dynamisch steigern. Er hat seine Leute gut in Schuss. Ob die wohl selbst wissen, was sie da zu tanzen haben? Ich kann mich schon am nächsten Morgen kaum noch daran erinnern.

Nach der Pause dann „The Subgarden“ zu einem Mozart-Pasticcio von Raskatov und Silvestrov. Beteiligt sind Die Dunklen, Die Leuchtenden, Die Entrückte und die Unheiligen nebst der Zeitlosen. Auch hier wieder das Gequassel – gottlob eher sparsam. Eine überkandidelte Mozart-Spaßgesellschaft, leicht meschugge, im Rokoko-Habit – Firlefanz à la „Amadeus“, mit Zeitüberschneidungen. Mäßig lustig – eine Scherz-Choreografie mit ernsten Untertönen, reichlich lang. Die Tänzer frisch fröhlich dabei, aber ich könnte nicht sagen, wer denn hier nun die Keuchten, die Unheiligen etc. sind. So what?

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