TANGO von Gabriel Sala

Staatstheater Schwerin, 06/06/2003

Immer wieder schafft es Schwerins Ballettchef Stefan Haufe, trotz klammer Kasse Gast-Choreographien von außen heranzuholen: Jean Renshaws „Orlando is dead“, Richard Wherlocks „Verklärte Nacht“ oder jetzt Gabriel Salas „Tango“. Es fällt kaum ins Gewicht, dass die Produktionen älteren Datums sind, denn ohne Zweifel besteht in Schwerin ein Nachholbedarf, kennt das örtliche Publikum die Tanz-Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte kaum oder gar nicht. Salas „Tango“, 1983 uraufgeführt, nach Angabe des Theaters für Schwerin neu choreographiert, erfüllt diesen didaktischen Ansatz, künstlerisch hohes Niveau erklimmt er nicht.

Er unternimmt den brüchigen Versuch, mit häufigem Szenenwechsel, eingeschobenen Textpassagen (Sprecher: Bernd Ripken) - die in ihrer gestelzten Art an den guten alten Schulfunk erinnern - und reichlichem Kostümaufwand (Michael Haufe) die Geschichte des Tangos zu erzählen. Was der Text schildert, wird aber auf der Bühne kein lebendiges Bild, sondern bleibt lediglich Behauptung. Typen treten auf, keine individuellen Persönlichkeiten.

Das Ensemble beweist einmal mehr seine Flexibilität, stellt sich, mit seinem Chef an der Spitze, der Herausforderung und liefert eine handwerkliche solide, wenn auch in den Gruppenauftritten meist leicht ungenaue Interpretation. Die Leidenschaft unter der Oberfläche scheint allerdings nur selten auf: Wenn eine Frau - welche Tänzerin der Alternativbesetzung es ist, wird nicht angegeben - im Solo „Malena“ (eine Tangosängerin) abgrundtiefe Melancholie mit klassisch angereichertem Schrittmaterial aufblühen lässt. Oder zwei betrunkene Frauen in „Los Mareados“ im Zweiertanz „anrüchige“ Atmosphäre aufblühen lassen. Erst zum Finalstück „Der letzte Tango“ zeigt Leticia J. Latrónico, allen, wie knackig, auf den Punkt genau, sich Bewegungen in den Boden stanzen lassen, wie Erotik im wahrsten Sinne verkörpert wird: ein einsamer Höhepunkt, begeisterter Applaus. Das Manko dieses Abends liegt nicht bei den bemühten Tänzer*innen, obwohl ihnen zumeist die nonchalante (Macho-) Lässigkeit abgeht - es liegt beim Choreographen Gabriel Sala. Er schafft es nicht, sich aus dem Kleinklein-Bewegungsmaterial des Tangos zu befreien, den inneren Geist, nicht die äußerlichen Zeichen zu nutzen. Die Eins-zu-eins-Übersetzung auf die Bühne verträgt die Vorlage nicht, schnell nutzt sich der Effekt ab. Ob der seitliche Ausfall des Spielbeins bei gebeugtem Standbein, die aus dem lockeren Kniegelenk umeinander oder zwischen den Beinen des Partners schwingenden Unterschenkel, die Trippelschritte auf halber Spitze mit synchronem Hüftschwenken, das seitlich angezogene Knie der Frau, während sich ihr Körper an den Partner presst - der tänzerische Rahmen ist einfach zu eng, um theatralische Kraft über eine längere Strecke zu gewinnen.

Vom holprigen Text Salas im Programmheft, in dem vom „heldenhaftem Einwanderer“, von „rebellischem Atheismus“, „imperialistischen Zentren“ und ähnlichem Wortqualm die Rede ist, mag man denken wie man will. Ärgerlich ist, dass die Musik im Programmheft nur pauschal und unvollständig aufgeführt, nicht dezidiert den einzelnen Szenen zugeordnet wird. Unter den sehr guten Fotos sind die Namen der Abgebildeten nicht angegeben: eine unverzeihliche Sünde, denn die Identifikation des Publikums mit „seinen“ Tänzer*innen wird erschwert.

Zumal dem Staatstheater und damit dem Tanzensemble wieder einmal Einschränkungen drohen: 1,6 Millionen Euro plant die Stadt Schwerin ab 2005/06 einzusparen. Sie bezuschusst bisher das Theater, eines der Attraktionen der Landeshauptstadt, mit 6,2 Millionen Euro pro Spielzeit, das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gibt 9,2 Millionen Euro dazu. Käme es zu diesem 30-prozentigen Einschnitt, so wäre die Existenz des Balletts gefährdet. Noch ist nichts entschieden. Aus dem Theater wird verlautet, man werde kämpfen - wie seit Jahren.

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