Imbedded, oder... kein Kuscheln mit dem Stuttgarter Ballett

Köln, 11/07/2004

Haben Sie schon gehört, dass Horst Koegler (und mit ihm alle Rezensenten) seit neuestem seine Artikel, die er übers Stuttgarter Ballett veröffentlichen will, der Leitung und der Pressestelle zur Begutachtung (sprich: zur Gutheißung oder Ablehnung = Zensur) vorlegen muss, ehe sie veröffentlicht werden? Und dies in verschärften Maße im Falle der Berichterstattung über den zu erwartenden Balanchine-Abend? Da, so wurde ihm von Seiten der Ballettdirektion mitgeteilt, muss man ganz besondere Rücksichten auf den Balanchine Trust nehmen. Der sollte dann eigentlich „Balanchine No Trust“ heissen, da er keinem über den Weg traut, und alles untersagt, was sich negativ auswirken könnte. Ein ungeheuerlicher Vorgang!

Finden Sie nicht? Wo bleibt denn da die Meinungs-, die Pressefreiheit, werden Sie entsetzt fragen! Wäre die Sache so, wie ich sie eben geschildert habe, dann hätten Sie das Geschrei schon längst gehört. Nicht auszudenken! Leider, leider verhält sich die Geschichte aber (fast) wirklich so. Mit dem winzigen Unterschied, den noch nicht mal Alice Schwarzer merken würde: nämlich dem, dass nicht Horst Koegler und seine schreibenden Kollegen von der Zensur bedroht sind, sondern Gert Weigelt und mit ihm die Vertreter des Bildjournalismus. Was ist los im Schwabenländle? Was ist los im ganzen Lande? Es ist mir nicht neu, dass Theater sich abschotten und aus rein ökonomischen Gründen ihrem lausig bezahlten Theaterfotografen das Monopol sichern, damit dieser dann ein paar Copyrighthonorare zur Aufbesserung seiner Bezüge einfahren kann. Das ist natürlich eine dreiste juristische Ferkelei und zudem noch eine äußerst dumme. Mit jedem Fotografen, den man aussperrt, verzichtet man auf einen potentiellen Multiplikator. In der heutigen Zeit, wo immer mehr Theater und insbesondere Ballettkompanien von Amok laufenden Politikern (und Intendanten) bedroht sind, sollte man alles mobilisieren, was guten Willens und reinen Herzens ist.

Fotografen versuchen (prinzipiell und aus Eigeninteresse) immer GUTE Fotos zu lancieren, was natürlich - dem individuellen Vermögen nach - mal besser, mal schlechter ausfallen kann. Das sattsam bekannte Argument: nur der Produktionsfotograf ist ein guter Fotograf, habe ich selten bestätigt gefunden. Meist ist das Gegenteil der Fall. Wenn es mir hinreichend wichtig war, habe ich mir dennoch Zutritt verschafft.

Schon Ende der siebziger Jahre (als sich noch kaum ein Fotograf um Pina Bausch scherte) hatte man Uli Weiss, der offiziellen Produktionsfotografin, (eine von mir äußerst geschätzte Kollegin) eine Exklusivklausel in den Vertrag geschrieben und so glaubte man mich - mit bedauerndem Achselzucken darauf hinweisend - los zu sein. Die Klausel, die wie ein Gesetz daherkam, musste kleinlaut als sittenwidrig gestrichen werden. Seither hat sich Wuppertal (und die Kompanie auf ihren Welttourneen) als Mekka für Fotografen entwickelt und Pina Bausch selbst kann aus einer Fülle von verschiedenen Sichtweisen ihre eigene Bildmixtur herausfiltern (manchmal braucht es eben ein wenig Intelligenz). Was macht also den Fotojournalismus so anfällig gegenüber Willkür? Warum lassen sich (Theater-) Tanzfotografen kujonieren, drangsalieren, herumschubsen und aussperren? In unserer kleinen Welt des Tanzes ist das leicht zu durchschauen.

Wir Bildjournalisten sind buchstäblich OHNMÄCHTIG. Wir verfügen nicht über die Macht des Wortes, die dem Kritiker an die Hand gegeben ist. Auch erfordert unser Arbeitsprozess spezielle Bedingungen. Wie gerne würden die Intendanten, Regisseure und Choreografen so manchem Rezensenten das Haus verbieten. Aus Zorn können sie ihm höchstens die Pressekarte verweigern. Aber dann kauft sich der Geschmähte eine Karte an der Abendkasse und zieht am nächsten Tag vom Leder. Und keiner der Gelackmeierten kann es weder verbieten noch verhindern. Das verursacht Frust und Zähneknirschen. Da kommt der Fotograf gerade recht, um an ihm sein Mütchen zu kühlen. Man meint den Esel, aber haut den Sack. Leider haben die Fotografen noch nicht so recht begriffen, dass nur Einigkeit stark macht. Aber da sich zu viele von ihnen um einen zu kleinen Kuchen balgen, verhalten sie sich untereinander meist unsolidarisch. Sie verteufeln das Monopol - solange sie freischaffend sind. Sobald sie eine feste Stelle angeboten bekommen, möchten sie keinen der Kollegen mehr sehen. Die Intendanten und Ballettdirektoren reiben sich die Hände.

Zurück zum Fall Stuttgart. Die Forderung, das Material aller Fotografen (also nicht nur das des Haus- bezw. des Produktionsfotografen) prüfen zu wollen um gegebenenfalls eine Publikation zu verhindern, ist nach meinem freien Rechtsverständnis sittenwidrig. Vielleicht wollte man sich die Erfahrungen der U.S. Army zunutze machen, die seit dem Irakkrieg das System des „imbedded journalism“ eingeführt hat. Aber haben wir Krieg in Stuttgart? Von wem fühlt sich die Ballettleitung bedroht, um zu solch rigorosen, rechtswidrigen, undemokratischen Mitteln greifen zu müssen? Oder glaubt die Ballettleitung sie sei immer noch in Toronto, wo diese Methoden Usus sein mögen? Nein, ever so sorry: Wir befinden uns in Deutschland und hier ist ein Bildjournalist kein Journalist zweiter Klasse, der nur mit den halben Rechten ausgestattet ist. Und auch ein Balanchine Trust kann hier keine neuen Gesetze schreiben. Möge man weiterhin bitte zur Kenntnis nehmen, dass eine Bühne wie das Württembergische Staatstheater kein Privatzirkus ist, der seine eigenen Regeln aufstellt und wo der Dompteur nach Lust und Laune mit der Peitsche knallen darf. (Dann würde ich das ganze hier unter dem Motto: „„Wer nicht will der hat schon“„ abtun.) Es ist eine Institution der Öffentlichkeit, mit öffentlichen Mitteln finanziert und der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig. Der Journalismus ist Sprachrohr dieser Öffentlichkeit, in Wort und Bild.

Übrigens macht man sich in Stuttgart auch große Sorgen, dass die Fotografen die „Persönlichkeitsrechte“ der Tänzer verletzen könnten. Dabei hatte ich gar nicht vor bis in die Duschen vorzudringen, sondern wollte lediglich das Bühnengeschehen fotografieren. Ach, ich hatte mich sooo auf meinen „Mister B.“ gefreut. Ehrlich und richtig doll. Bye bye Balanchine. See you soon.

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