Katastrophe im Kunstmuseum

Das erste Stück der neuen Forsythe Company

Frankfurt, 23/04/2005

Eigentlich ist alles genau wie früher - das Bockenheimer Depot, die Tänzer, das Publikum. Nur heißt das Frankfurter Ballett jetzt „The Forsythe Company“ und ist mit achtzehn Tänzern kleiner als die alte Truppe - dafür stehen an diesem Abend auch, anders als früher, sämtliche Tänzer auf der Bühne. Wie so oft bei Forsythe ist derjenige, der nicht englisch spricht, in diesem Stück völlig verloren - ob sich der Choreograf wohl Gedanken darüber gemacht hat, dass ihn im lange nicht so anglophil gebildeten Dresden ganze Publikumsschichten nicht verstehen werden? Vermutlich steht ohnehin das Subventionssystem der deutschen Theaterkultur demnächst vor der totalen Amerikanisierung und die neue Finanzierungsweise der Tanzkompanie als „Public Private Partnership“ weist nur den Weg: ohne Sponsoren geht nichts mehr, weshalb auf jedem Platz im ausverkauften Auditorium ein Überweisungsträger samt frühlingsfarbenem Hochglanz-Brief bereitliegt.

Der Titel des neuen Werks klingt ungewöhnlich seriös: „Three Atmospheric Studies“, allerdings herrscht am Schluss gelinde Verwirrung, wie sich die drei atmosphärischen Studien denn nun auf die zwei Hälften des eineinhalbstündigen Stücks verteilt haben. Die von Forsythe selbst gestaltete Bühne ist ein langgestreckter, gerader, völlig leerer Raum, dessen Wände und Boden in einem warmen Grau erstrahlen - ein freundliches, helles, fast plastisch erscheinendes Licht, das von den bunten Neonröhren kommt, die der New Yorker Lichtkünstler Spencer Finch in langen Linien und diffizil ausgeklügelten Farben über der Bühne installiert hat. Immer wieder wird sich ihre Zusammensetzung ändern, wird das Licht zum Blackout verdämmern und als Morgenstimmung oder sonniges Tageslicht wieder aufscheinen. Verspielt, ja fröhlich stolpert ein erstes Paar in den Raum, kichert ein bisschen und verschraubt sich zu den flirrend hohen Streicherakkorden von David Morrow ineinander.

Verschwunden sind die spastischen Krämpfe der letzten Forsythe-Stücke, die verschobenen Gesichter, die verrenkten Glieder - der Tanz ist freier und verspielter, ähnelt einer zarten, vorsichtigen Kontaktimprovisation. Der helle Raum wirkt wie ein leeres Kunstmuseum, in dem Kinder spielen: sie staunen die Bilder an, die nicht an den Wänden hängen, erschrecken vor manchen, sitzen später auf Klappstühlen regungslos vor den Wänden. Auch die Kostüme, die zunächst wie die üblichen schlabbrigen Trainingsklamotten aussahen, setzen sich plötzlich zum bunten Farbspektrum eines Kindermalkastens zusammen, manchmal entsteht in der reinen Geometrie dieses weiten Raumes sogar so etwas wie Symmetrie, eine Mittelachse. Auf die hintere Wand werden ab und zu englische Sätze eingeblendet, die schon die drohende Gefahr für das Museums-Idyll erahnen lassen: „the last afternoon as himself“ oder „as if nothing dangerous were circling overhead“.

Im zweiten Teil steht eine Art Sperrholz-Zimmer im Museumsraum, davor erklärt ein Tänzer wortreich die Verschiebung von Wolkenbergen auf einem Bild. Die überlaut verstärkten Geräuscheffekte, die jemand schon im ersten Teil immer wieder mal in ein Mikro pustete, hallen jetzt ständig aus den Lautsprechern: jede Bewegung auf der Bühne explodiert in grellem Rauschen, die Tänzer ducken sich unter dem Lärm, suchen Schutz, rennen durcheinander. Es ist der Ort, an dem gerade eine Katastrophe passiert, und gleichzeitig ist sie schon vorbei - beruhigend redet eine Stimme auf eine regungslose Frau ein, im verbindlichen „alles wird gut“-Ton der Politiker, die hinterher leere Erklärungen anbieten für etwas, das sie selbstverständlich nie gewollt haben. Die Stimme, das merkt man erst allmählich, gehört Dana Caspersen und wird technisch zur Männerstimme verfremdet. Unbarmherzig neutral und sorgfältig wie ein Museumsführer erklärt der Wolken-Mann jetzt, wo Gebäudeteile in den Raum hereinbrachen, wo verbranntes Spielzeug herumlag und Leichenteile an den Wänden klebten.

Forsythe zeigt die Aufarbeitung einer Katastrophe (in New York würden sie sofort an 9/11 denken), die Sublimierung des Entsetzlichen durch beschwichtigende Worte und den musealen Kult der Erinnerung. Die geschockte Frau aber bleibt völlig apathisch, zum Schluss verstummen die Erklärungen vor ihrer Regungslosigkeit. Ein eindrücklicher Auftakt zur neuen Forsythe-Ära, und weitaus zugänglicher als die letzten Abende des Frankfurter Balletts.  
 

Besuchte Aufführung: 22.4.2005
Link: 
www.theforsythecompany.com 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern