Dornröschen im Luftballon

Les Ballets de Monte-Carlo eröffnen die Tanzreihe der Ludwigsburger Schlossfestspiele

Ludwigsburg, 14/06/2005

Dornröschen trägt jetzt bauchfrei: flippig überzuckert von der exzentrischen Mode der Cote d'Azur gastierte die ganz und gar extravagante Version des Ballett-Klassikers von Jean-Christophe Maillot im Ludwigsburger Forum. Der Direktor und Chefchoreograf der monegassischen Kompanie hat den Klassiker neu erzählt und völlig neu choreografiert, ihn auf anderthalb Stunden gekürzt (bis zum dritten Akt kommen wir musikalisch schon gar nicht mehr) und mit zusätzlicher Musik aus anderen Tschaikowsky-Werken versehen, etwa der „Romeo und Julia“-Ouvertüre. Von der klassischen Petipa-Version behält Maillot in seiner „La Belle“ betitelten Fassung schon noch einige Ideen, etwa die Fliederfee, die dem Prinzen den Weg weist, oder die böse Fee Carabosse als Travestie-Rolle. Ansonsten aber macht er ein psychologisches Drama draus, mit Ödipus- und Schwangerschafts-Komplexen, kaputten Beziehungen und einem überbehüteten Mädchen. Alles in glitzernder Geschenkfolie verpackt.

Die Handlung spielt an zwei Orten: im düsteren Heim des Prinzen mit seiner menschenfressenden Mutter (Carabosse) und dem schwachen, leidenden Vater, und im poppigen, fröhlichen Reich von Dornröschens Eltern, die endlich das ersehnte Kind bekommen. Das erwachsene Dornröschen erscheint dann in einem riesigen durchsichtigen Ballon, als ein überbeschütztes, vor der bösen Welt bewahrtes Mädchen, das vor der Zudringlichkeit seiner Verehrer prompt so erschrickt, dass es in eine schlafähnliche Starre fällt. Mit ihrem strubbeligen Kurzhaar und den erschreckten Augen erinnert Maillots ausdrucksstarke Startänzerin Bernice Coppieters eher an Mats Eks Irrenhaus-Giselle als an das klassische Dornröschen, später in ihrem spitzenüberhauchten, bauchfreien Trikot gar an eine burschikose Kindfrau. Vielleicht ist sie ein wenig zu reif für das junge, unschuldige Mädchen, aber ihre Persönlichkeit prägt die Rolle wie die gesamte Aufführung ganz entscheidend, auch im Zusammenspiel mit ihrem Prinzen Asier Uriagereka. Gaétan Morlotti tanzte die Carabosse mit der neidvollen Urkraft des Bösen, Paola Cantalupo die liebenswerte, aber unterbeschäftige Fliederfee. In der Rolle von Dornröschens Vater war mit Jens Weber ein alter Bekannter von der Staatsoper Unter den Linden zu sehen. Statt Dornenhecken wird die Schlafende von Wasser beschützt, durch dessen träumerische Projektion sie ihrem Prinzen entgegengleitet.

Fast noch mehr als von der Choreografie wird diese Ballettaufführung von der Ausstattung geprägt, von Philippe Guillotels schrillen Kostümen zwischen übergeschnappter Laufstegmode und einfallsreicher Objektkunst. Des Königs Herrschertracht etwa ist so voluminös, dass der Inhaber in sie hineinsteigen und damit herumfahren muss. Durch die gesamte Ausstattung zieht sich leicht und fein das Symbol des Luftballons und zeitigt märchenhafte Bilder - da werden Schleppen von schwebenden Ballons getragen, da zieren winzige Ballons die Kleider der Feen, die Pumphosen des Hofstaats sind luftig aufgeblasen und noch die Wachen haben luftgefüllte Schnörkel auf dem Hintern. Der Ballon symbolisiert aber auch die ersehnte Schwangerschaft von Dornröschens Mutter, später ihr Kind und dessen umsorgtes Aufwachsen.

Maillot, der problemlos auch zu filmischen Rück- und Vorausblicken greift, ist ein Geschichtenerzähler im Stil von John Neumeier, dramaturgisch ähnlich hoch begabt wie sein Vorbild, choreografisch nicht ganz so berückend. Und doch findet sein Tanz zwischen all dem Ausstattungs-Aufwand immer wieder zu Augenblicken von zartester Lyrik - etwa beim Erweckungskuss, in einem langen, zärtlichen Pas de deux, während dem sich die Lippen Dornröschens und ihres Prinzen nicht voneinander lösen. Aber gleich versiegt das kindliche Lächeln über solche Momente wieder vor dem nächsten Kostüm-Knüller; letzten Endes ist es alles ein bisschen zu chic, um wahrhaftig zu sein.
 

Links: www.balletsdemontecarlo.com 

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