Gesamtkunstwerk als dramaturgisches Puzzle

Tanztheater 3: „Les Enfants Terribles“

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Nürnberg, 10/06/2007

Ganz schöner Stuss, was Jean Cocteau, Philip Glass und Daniela Kurz da dem Nürnberger Publikum mit „Les Enfants Terribles“ eingebrockt haben! Der Roman von Cocteau aus dem Jahr 1929, verfilmt 1949 von Jean-Pierre Melville mit der Musik von Bach, von Philip Glass nach „La Belle et la Bête“ und „Orphée“ zur Vervollständigung seiner Cocteau-Trilogie vertont und als Dance Opera Spectacle 1996 in Zug in der Schweiz uraufgeführt (Choreografie: Susan Marshall, die neben Glass auch als Texteinrichterin fungiert).

Nunmehr also beim Tanztheater Nürnberg in deutscher Erstaufführung als Dance Opera in der Inszenierung und Choreografie von Daniela Kurz, in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln – nachdem Kurz vorher schon in Nürnberg von Glass den „Fall of the House of Usher“ und in Linz seine „Orphée“-Oper höchst erfolgreich herausgebracht hatte. Dies war die fünfte Vorstellung (von insgesamt sieben) nach der Premiere am 29. April, gut besucht und vom Publikum nach anderthalb Stunden ausdauernd applaudiert (übrigens gab es die „Enfants terribles“ als Tänzerquartett von Yuki Mori zu Musik von Janácek und Gorecki bereits als Vorläufer zu Stephan Thoss‘ „Sacre“ im Mai 2006 in Hannover).

Ich habe indessen meine Zweifel, ob die Besucher nacherzählen könnten, was sich da auf der Bühne getan hat – außer dass sie gebannt waren von einem rätselhaften Geschehen zwischen zwei Geschwistern, die offenbar eine inzestuöse Verbindung miteinander kultivieren, in die zwei andere Charaktere einbrechen, was zum Schluss zur Katastrophe führt. Ich bin wieder einmal froh, keine Kritik schreiben und erst einmal beschreiben zu müssen, was da an dramatischen Ungereimtheiten passiert – besonders mit einem Bild und einem Brief – und bekenne, dass ich trotz der Einschaltung eines deutschsprachigen Kommentators ständig herumgerätselt habe, was das Ganze denn zu bedeuten habe. Auch über die ständig herumwuselnden acht Tänzer, die die Handlung begleiten und dabei durchaus einfallsreiche animalische Motionen (Affen, Reptilien?) ausführen.

Im Programmheft habe ich dann hinterher gelesen, dass es sich um ein Gesamtkunstwerk handelt „dass die unterschiedlichen Elemente als Einheit versteht“, wobei sich „die unterschiedlichen Ausdrucksweisen nicht verdoppeln müssen. Sie können auch komplementär zueinanderstehen“. Na ja! Ist also jeder aufgefordert, die dramaturgischen Legobausteine nach seinem eigenen Gusto zusammenzufügen. Habe ich denn auch versucht. Ist mir indessen nicht gelungen.

Sorry, alles, was ich dafür aufbringen konnte, war eine Art kalte Bewunderung für die gleichwohl narkotische Wirkung der von den drei Klavieren in den Raum gehämmerten repetitiven melodisch-harmonischen Floskeln und rhythmischen Muster – auch für die instrumentalen, vokalen und tänzerischen Ausführenden. Doch die Summe all dieser durchaus engagierten Anstrengungen bleibt so minimal wie die musikalische Substanz dieser „Dance Opera“. Ich wunderte mich nicht zuletzt über diese Ressourcenverschwendung in Zeiten, da allenthalben äußerste Sparsamkeit angemahnt wird – nicht zuletzt in meinem Fall der Aufwendungen für eine Reise, die mich derart frustriert zurückließ.

Immerhin auf der Bahnfahrt die Juni-Ausgabe der englischen „Dancing Times“ studiert und dabei auf eine Kritik über das Gastspiel Alexander Zaitsevs in der „Pierrot lunaire“-Aufführung des Royal Ballet gestoßen. Und was lese ich da? „Remember that name – he is quite simply an extraordinary dancer and if he performs again in the UK (and I can only pray that he does), you should book. On loan from Stuttgart, he took the Covent Garden stage on April 27 with total ease in a deeply theatrical and finely detailed reading, which made clear the progression from boy innocent into grown man, and the residual melancholy that process always engenders.“ Vielleicht taucht sein Name ja demnächst in der wikipedia auf, die bisher vier Alexander Zaitsevs registriert: einen Schachspieler, einen Eiskunstläufer, einen Chemiker und einen Wissenschaftler. Außerdem im gleichen Heft die Ankündigung, dass Friedemann Vogel am 21. Juni zusammen mit Sofiane Sylve, Pricipal des New York City Ballet, in Derek Deanes „Schwanensee“-Produktion des English National Ballet in der Royal Albert Hall tanzen wird. Hätte ich gern auch in einer der Stuttgarter Gazetten gelesen!

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