Julia und Romeo von der Côte d'Azur

Les Ballets de Monte-Carlo mit Jean-Christophe Maillots Inszenierung des Prokofjew-Klassikers im Festspielhaus

oe
Baden-Baden, 27/04/2007

Jetzt reicht‘s aber wirklich! Prokofjews „Romeo und Julia“ als 45jähriger Cranko-Dauerhit in Stuttgart. Dito, etwas jünger, von Kenneth MacMillan in Karlsruhe. Als Gastspiel der Bigonzetti-Produktion vom italienischen Aterballetto letzthin in Ludwigsburg. Nicht gerechnet die Dutzende von Versionen zwischen Flensburg und Passau, gar nicht zu reden von Wien, Zürich und Straßburg. Und nun also auch als Baden-Baden-Abstecher der Tournee der Ballets de Monte-Carlo mit der Jean-Christophe-Maillot-Version dreimal im dortigen – wie man hört: bestens verkauften – Festspielhaus (nachdem Maillot seine Version bereits auch in Essen dem dortigen Ensemble einstudiert hat). Zu übertreffen wäre das vermutlich nur noch mit Günther Oettinger als Romeo und Frau Pauli als Julia.

Eine Woche nach der gloriosen Stuttgart-Gala mit der aus allen theatralischen Nähten berstenden Cranko-Produktion nimmt sich der Baden-Badener Import von der Côte d‘Azur geradezu befremdend undramatisch-steril aus. Ästhetisch berückend anzusehen in dem kühlen, sich auf verschiebbare Wände beschränkenden Dekor von Ernest Pignon-Ernest, atmosphärisch farbsuggestiv von Dominique Drillot beleuchtet und in den modernistischen Kostümkreationen von Jérôme Kaplan nimmt sich das Ballett in drei Akten nach William Shakespeare wie eine Computer-Animation aus, faszinierend musikalisch arrangiert, dramaturgisch gründlich überarbeitet (mit Pater Lorenzo samt seinen zwei Begleitern als eine Art Mediator und Strippenzieher nebst völlig neuem Schlussakt), ausgeführt von fabelhaft aussehenden geklonten Tänzern, denen man die Seele herausoperiert und derart alle Menschlichkeit amputiert hat, und die eben deswegen über alle technischen Schwierigkeiten erhaben und unisono miteinander harmonisiert sind. Das Ergebnis ist virtuelle „Second Life“-Produktion.

Weder suggeriert sie das Verona der Frührenaissance noch die gesellschaftlich-politisch-historischen Konflikte, die Shakespeares Schauspiel und auch Prokofjews Ballett zugrunde liegen. Sie ist allerdings ausgesprochen feministisch programmiert, mit einer Julia, Bernice Coppieters, die schon bei der Premiere vor elf Jahren in Monte-Carlo alle dramatische Initiative an sich riss, und deren heutige Kollegen – Asier Uriagerka als Romeo, Jens Weber als Tybalt, Ramon Gomes Reis als Mercutio, Julien Bancillon als Benvolio und Alexis Dupuis-Le Blanc als Paris sowie Jerôme Marchand als Bruder Lorenzo allesamt ihre Kinder sein könnten.

Bezeichnend ist auch, dass die Geschlechter der Veroneser alle ihre Väter verloren haben – so gibt es weder einen Herzog von Verona noch die ihren Häusern vorstehenden Mannsbilder der Montague und Capulet. Dafür wächst die Lady Capulet der Paola Cantalupo in das Format einer Rächerin von antikem Format (welch eine Rolle wäre das für Marcia Haydée während ihrer Glanzzeit gewesen), und auch die Amme der Samantha Allen lässt alle mütterlichen Klischees hinter sich und emanzipiert sich als eine Selfmade-Frau, die weiß, worauf es im Leben ankommt. So wird man denn der „Romeo und Julia“-Produktion von Jean-Christophe Maillot aus Monte-Carlo durchaus ihre Eigenständigkeit neben den Lawrowkys, Crankos, Ashtons, MacMillans, Winogradows, Nurejews, Seregis, Vamos‘ und Preljocajs sowie all ihren choreografischen „R. und J.“-Kollegen attestieren können, ohne ihr jedoch einen Platz in der internationalen Exzellenzen-R.& J.-Elite zuzugestehen.

 

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