Daniel Goldins „Cancionero – Liederbuch“ in neuer Besetzung

Eine Welt voll „Kummer und Vergnügen“

Münster, 08/09/2008

Eine choreographische Reise durch die Vielvölker-Kultur Mittel- und Südamerikas unternahm Daniel Goldin vor fast zwölf Jahren in seinem ersten Tanzstück für Münster, „Cancionero - Liederbuch“. Bei der jetzigen Neueinstudierung mit fast komplett ausgetauschter zehn-köpfiger Besetzung zeigt das Frühwerk des Argentiniers zwar deutlich authentische Züge und Goldins charakteristische Handschrift, jedoch hat er sich mittlerweile – etwa mit „In Öl und Nebel“, „Stimmen, Hände, brüchige Stille“, „Tagelang und Nächtelang“, „Hamletmaschine“, „Satie-Abend“ und „Winterreise“ - dezidiert auf die Kultur seiner europäischen Vorfahren eingelassen. Aktualität gewinnt der Tanzzyklus durch das heute auch hierzulande präsente „Völkergemisch“, das durch die multi-nationale kleine Truppe mit Tänzern aus Mitteleuropa, Fernost und Südamerika sehr apart und individuell repräsentiert ist. Im Schmelztiegel Süd- und Mittelamerika gaben gerade Lied und Tanz den divergierenden Kulturen der Völker, Stämme und europäischen Einwanderer von Mexiko über Peru und Argentinien bis nach Kuba und Trinidad die markante, harmonisierende Würze.

Goldins atmosphärisches „Liederbuch“ ist ein Reigen bunter Alltagsbilder und magischer Rituale auf eine musikalische Collage aus traditionellen, folkloristischen Liedern und Gitarrenmusik (darunter Agustin Pio Barrios‘ Bach-ähnliche dreisätzige Invention „La Catedral“). Mit einigen wenigen Versatzstücken wird das dörfliche Ambiente umrissen (Entwurf: Goldin und Susannah Wöllisch): Mehl- oder Getreidesäcke liegen an den Scheunenwänden aufgestapelt. Türen führen ins Innere, zwei Leitern zu den Luken des Heubodens. Ein derbes Holzgatter begrenzt den Innenhof. Eine lose gespannte Wäscheleine durchschneidet den Raum. Vorn auf dem staubigen Platz markiert ein sandiges Rund einen flachen Krater. Schlafend kauern Menschen – barfuß, in einfachster heller Flachskleidung – auf den Säcken. Donnergrollen in der Ferne – oder arbeitet etwa der Vulkan? Glutrot flackert plötzlich der Krater. Wie in Trance erheben sich nach einander die Erntearbeiter, tanzen über den Hof. Immer munterer wird das Treiben. Arbeitsrhythmen der „Kolonne“ konterkariert eine hastig verspielte Liebelei (Marcel Behn und Alice Cerrato). Anmutig traum-tanzt eine junge Schöne (Jennifer Ocampo-Monsalve). Eine andere steigert sich im Wahn in einen wahren Veitstanz (Nora Ronge). Vergangenheit und Gegenwart prallen aufeinander: Vermummte Guerillos robben über den Boden - maskierte Mythengestalten wie Antilope und Aztekenkönig huschen herein. Der König (Matthias Schikora) wagt ein flottes Tänzchen mit einem fröhlichen Nönnchen (Alice Cerrato) und einem Kardinal (Eun-Sik Park). Schließlich verkleiden sich alle mit weiten Leintuch-Gewändern, auf deren Innenseiten Parolen und Lebensweisheiten geschrieben stehen. Zum Beispiel „Die Welt gibt nichts anderes als Kummer und Vergnügen“ - ein passendes Leitmotiv für Goldins charmante Komposition.
 

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