Aus dem KaDeWe des Tanzes

Das Berliner Staatsballett präsentiert „Das flammende Herz“

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Berlin, 22/06/2009

Und wer, bitte, ist oder war dieser Percy Bysshe Shelley? Auf dem Besetzungszettel zur Uraufführung des Balletts „Das flammende Herz“ von Patrice Bart zur Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy beim Staatsballett Berlin trägt er noch einen anderen Namen: Vladimir Malakhov, Intendant der Kompanie. Im Programmheft erfahren wir Näheres: Er lebte von 1792 bis 1832 und war einer der bedeutendsten englischen Dichter der Romantik und führte ein – na ja, sagen wir mal höchst unkonventionelles Leben. Ein Freigeist in jeder Beziehung – Atheist, Anarchist und ein Weiberheld comme il faut, dem die Frauen reihenweise zu Füssen lagen, die er verführte, heiratete, sitzenließ oder in den Selbstmord trieb. Vielleicht liebte er ja aber doch noch mehr seinen Freund Jefferson Hogg sowie seinen Dichter-Spezi Lord Byron. Umgekommen ist er bei einem Segelunfall vor der ligurischen Küste. Sein angeschwemmter Leichnam wurde verbrannt. Sein Herz aber verweigerte sich dem Feuer und stieg als Rauch zum Himmel empor. Daher der Titel des fast dreistündigen Abendfüllers: „Das flammende Herz“.

Seine Gespielinnen, und auf sie konzentriert sich das tänzerische Geschehen, entstammten hohen britischen und italienischen Adelskreisen, und so ging es denn unter ihnen etepetete zu. In Berlin heißen sie Anastasia Kurkova, Nadia Saidakova, Iana Salenko, Polina Semionova, Beatrice Knop – und sie alle tanzen mit „flammenden Herzen“ – wie auch alle ihre Kolleginnen und Kollegen von Deutschlands größter Ballettkompanie. Und das tut auch ihr Chef höchstpersönlich – und zwar immer wieder die gleichen Schrittarrangements wie auf dem tänzerischen Exerzierplatz, so dass man sie wohl auch austauschen könnte, den Vladi gegen den Dinu (alias Jefferson Hogg, alias Dinu Tamazlacaru), oder den Martin (alias Lord Byron, alias Martin Buczko). Und sähe man ihre Kolleginnen in ihrem Uni-Trainingsdress im Studio, könnte man wohl die Einfalt vom Lande mit der Femme fatale oder der Schicksalsgöttin verwechseln. Das ist zwar immer wieder betörend schön anzusehen und wirkt wie der Musik angegossen, als hätte Mendelssohn seine Sinfonien und Ouvertüren für das königliche Hofballett in Berlin komponiert, nivelliert aber die Charaktere zu KadettInnen der klassisch-akademischen Ballettakademie Unter den Linden, als handelte sich‘s um die tänzerischen Erben der friderizianischen Garde.

Aber das macht ja vielleicht gerade ihre preußische Identität aus. Denn irgendeinen individuellen Charakter – wie ihren Kollegen in Hamburg, München oder Stuttgart – wird man dem Berliner Staatsballett mit seinem Sammelsuriumsrepertoire kaum zugestehen können. Und so vergleicht man diese tanzenden Luxusgeschöpfe am ehesten mit ihrem Luxus-Kaufhaus, dem KaDeWe. Und erschrickt sogleich ob dieses Vergleichs, denn dann gehörten sie ja automatisch zum Arcandor-Konzern und wären wegen ballettpolitischen Missmanagements gezwungen Insolvenz anzumelden. Wobei man sich daran erinnerte, dass die Vorgängerkompanie des Staatsballetts schon einmal einen vergleichsweise ähnlichen Flop landete: das war 1981 der Fall, und das Ballett hieß, von Shelleys Freund Lord Byron inspiriert, „Childe Harold“. Aber vielleicht sinnt man in Berlin zur Vervollständigung des Shelley-Byron-Tandems zu einer Trilogie ja bereits über Malakhovs nächste Kreation mit dem Titel „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach – dann könnte er seinen Vornamen Vladimir und Anatoli (ererbt von seinem Vater) auch noch den selbst erarbeiteten Narcissus hinzufügen!

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