Bären- und Teufelstänze im Palais Garnier

Ballettabend „Ballets Russes“ an der Pariser Oper

Paris, 20/12/2009

Bei den zahlreichen Hommagen an das hundertjährige Jubiläum der Geburt von Diaghilews Ballets Russes durfte die Pariser Oper, in der die Truppe einige Werke wie „Scheherazade“ und „Feuervogel“ uraufführte, nicht fehlen. Zur Feier des Ereignisses zeigte das Ballet de l’Opéra National de Paris die Stücke dreier Choreografen, die nacheinander das Repertoire der Ballets Russes geprägt hatten: Mikhail Fokine, Waslaw Nijinsky und Leonid Massine. Der Abend begann mit dem mit Spannung erwarteten Pariser Debüt von Mathias Heymann in Fokines „Le Spectre de la rose“ zur Musik von Carl Maria von Weber. Der jüngste Pariser Danseur Etoile verkörperte den Geist der Rose nicht nur mit der erwarteten technischen Bravour, sondern auch mit einer beachtlichen Delikatesse der Gestik und Handbewegungen; besonders überzeugen Heymanns Arme, die sich mit größter Sensibilität um die schlafende Schöne ranken. Nijinskys „Après-midi d’un faune“ zu Debussys gleichnamigem Prélude, zu Diaghilews Zeiten mit seinem zweidimensionalen Bühnenbild, seiner Absenz von Soli und Pas de deux im herkömmlichen Sinne und seiner Choreografie, die an bewegte Fresken erinnert, ein stilistischer Angriff auf die Sehgewohnheiten des Pariser Publikums, bedarf heute eines sehr starken Interpreten, um nicht rein dekorativ zu wirken. Nicolas Le Riche, der sein Rollendebüt als Faun gab, zeigte sich dieser Aufgabe gewachsen und verlieh Nijinskys eckigen Posen jenen seltsamen Reiz, durch den er ein Fenster in eine andere Welt zu öffnen scheint.

Die Choreografen der Ballets Russes liebten es, ihre Stücke in fernen Kulturen anzusiedeln, und so folgte auf das antiken Mythen entlehnte Werk eine Hommage an die ebenfalls von Diaghilew geliebte mediterrane Kultur. Leonid Massines „Tricorne“ mit Bühnenbild und Kostümen von Picasso und Musik von Manuel de Falla führt den Zuschauer ins Universum von Goya, Flamenco und pikaresken Romanen. In der Uraufführung tanzte Massine selbst die Rolle des Müllers und engagierte dafür eigens einen Flamenco-Lehrer; in José Martinez hat er einen würdigen Nachfolger gefunden. Das kurzweilige Stück lebt vor allem von dessen virtuosen hispanisierenden Variationen, von Marie-Agnès Gillots kecker Interpretation der schönen Müllerin und von den fröhlich-bunten Szenen des Corps de ballet.

Zum Schluss wurde die russische Tradition mit „Petruschka“ geehrt, einer meisterhaften Kombination von russischer Volkskunst und Modernität, die so viele von Strawinskys Werken charakterisiert. Herrliche groteske Jahrmarktsszenen (mit Auftritten von Betrunkenen, Tiermasken, Muskelmännern, Bärenbändigern, Teufeln…) wechseln sich ab mit Soli, Pas de deux und Pas de trois. In diesen wird die Geschichte der traurigen beseelten Marionette Petruschka erzählt, die sich in eine Ballerinen-Marionette verliebt und von ihrem Rivalen, der Mohren-Marionette, ermordet wird. Noch heute findet man auf dem Grab Nijinskys auf dem nahegelegenen Montmartre-Friedhof eine Statue des „Clown Gottes“ genannten Tänzers in der Rolle des Petruschka (eine stilistisch zweifelhafte Gabe Serge Lifars). Benjamin Pech tritt inspiriert in die Fußstapfen seines Vorgängers, an der Seite von Clairemarie Osta als Ballerina und Yann Bridard als Mohr. Zweifelsohne der Höhepunkt des Abends, nicht zuletzt wegen der seltenen Harmonie zwischen Musik (Igor Strawinky), Libretto (Strawinsky/Benois), Choreografie (Fokine), Bühnenbild und Kostümen (Alexandre Benois).

Das Programm zeigte unter anderem, was die Ballets Russes für den männlichen Tanz getan haben: sowohl „Spectre“ als auch der Faun, sowohl der Müller als auch Petruschka sind Rollen für erstrangige Solisten, in denen jene weit mehr unter Beweis stellen müssen als reine Technik. Alle vier Solisten zeigten weniger bekannte Facetten ihrer Kunst, die – zur Freude des Kenners, der sich nicht zu dieser Gelegenheit nach Paris begeben konnte oder keine Karte für die restlos ausverkauften Vorstellungen ergattert hat – an diesem Abend auf DVD verewigt wurden (Ausstrahlung am 1. Januar 2010 auf France 3).

Besuchte Vorstellung: 15.12.09, Paris, Palais Garnier

www.operadeparis.fr

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